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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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anhörte, als...«
»Vergessen Sie's.« Hutton betrachtete jetzt wieder sein männliches Modell. Die Schultern des
Fotografen hingen herab, und er rieb sich die Augen. »Ich bin bloß müde. Ich wollte Sie nicht
anschnauzen. Bin einfach kaputt.«
Holmes starrte über Huttons Schulter zu Arnold hinüber, doch als er sah, dass er es nicht
heimlich tun konnte, bückte er sich einfach, nahm sich ein Foto aus der Sammlung am Boden,
richtete sich wieder auf und steckte es in seine Jacke. Arnold hatte es natürlich mitbekommen,
und Holmes hatte gerade noch Zeit, ihm verschwörerisch zuzuzwinkern, bevor Hutton sich wieder zu
ihm umdrehte.
»Die Leute meinen, es wär einfach, den ganzen Tag bloß Fotos zu machen«, sagte Hutton. Holmes
riskierte einen Blick über die Schulter des Mannes und sah, dass Arnold tadelnd den Finger hin
und her bewegte. Doch dabei lächelte er schelmisch. Er würde nichts verraten.
»Aber man kann an gar nichts anderes mehr denken«, fuhr Hutton fort.
»Jede wache Minute an jedem Tag, jedes Mal, wenn man etwas ansieht, jedes Mal, wenn man seine
Augen benutzt. Alles, was man sieht, ist potenzielles Material.«
Holmes war jetzt an der Tür und hatte nicht vor, noch länger zu bleiben.
»Nun ja, dann lasse ich Sie wohl mal weitermachen«, sagte er.
»Oh«, sagte Hutton, als erwache er gerade aus einem Traum.
»Richtig.«
»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Keine Ursache.«
»Wiedersehen, Arnold«, rief Holmes, dann zog er die Tür hinter sich zu und war
verschwunden.
»Also, zurück an die Arbeit«, sagte Hutton und starrte auf die Fotos auf dem Fußboden. »Hilf mit
doch mal eben mit denen da, Arnold.«
»Du bist der Boss.«
Als sie anfingen, die Fotos wieder in der Schublade zu verstauen, bemerkte Hutton: »Ganz netter
Typ für einen Bullen.«
»Ja«, sagte Arnold, der nackt dastand, die Hände voller Abzüge. »Er sah jedenfalls nicht wie
einer von diesen Typen im schmuddeligen Regenmantel aus.«
Doch als Hutton ihn fragte, wie er das meinte, zuckte Arnold nur die Schultern. Das war
schließlich nicht seine Sache. Allerdings war es schade, dass sich dieser Polizist für Frauen
interessierte. Wieder mal ein gut aussehender Mann sinnlos vergeudet.

Holmes blieb draußen etwa eine Minute lang stehen. Aus irgendeinem Grund zitterte er, als ob
irgendwo in ihm ein kleiner Motor stotterte. Er legte eine Hand an seine Brust. Ein leichtes
Herzflattern, weiter nichts.
Das kriegte doch jeder ab und zu, oder? Er kam sich vor, als hätte er gerade ein geringfügiges
Verbrechen begangen, und vermutlich stimmte das sogar. Schließlich hatte er jemandem ohne dessen
Wissen oder Zustimmung etwas weggenommen. War das nicht Diebstahl? Als Kind hatte er häufig in
Läden gestohlen und das Gestohlene immer weggeworfen. Aber, das machten doch alle Kinder,
oder?... Oder etwa nicht?
Er zog sein jüngstes Beutestück aus der Tasche. Das Foto hatte sich gewellt, doch er strich es
mit den Händen wieder glatt. Eine Frau, die mit einem Kinderwagen an ihm vorbeikam, warf einen
Blick auf das Foto, dann eilte sie empört weiter. Es ist schon ganz in Ordnung, Madam, ich bin
nämlich Polizist. Er lächelte bei dem Gedanken, dann betrachtete er erneut die Aktaufnahme. Sie
war leicht aufreizend, mehr nicht. Eine junge Frau, die auf etwas lag, das wie Seide oder Satin
aussah. Sie hatte Arme und Beine gespreizt und war von oben fotografiert. Ihr Mund war zu einem
amateurhaften Schmollen geöffnet, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen. Das sollte wohl
Ekstase vortäuschen. Doch das war noch nichts Außergewöhnliches. Viel interessanter hingegen war
die Identität des Modells.
Denn Holmes war sicher, dass es diese Tracy war, die junge Frau, deren Foto er bereits aus dem
besetzten Haus hatte. Deren Herkunft er zu ermitteln versuchte. Die Freundin des Toten. Sie hatte
also nackt vor der Kamera posiert. Kein bisschen schüchtern, und auch noch ihren Spaß dabei
gehabt.

Was war es, das ihn immer wieder zu diesem Haus zurücktrieb? Rebus wusste es nicht genau. Er
richtete seine Taschenlampe erneut auf Charlies Wandgemälde und bemühte sich, den Menschen zu
verstehen, der es geschaffen hatte. Aber warum wollte er so einen Außenseiter wie Charlie
überhaupt verstehen? Vielleicht wegen des quälenden Gefühls, dass er eine zentrale Rolle in dem
Fall spielte.
»Was für ein Fall?«
Jetzt hatte er es tatsächlich laut ausgesprochen. Was für ein Fall? Es gab keinen »Fall«,
zumindest nicht in dem Sinne,

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