Das zweite Zeichen
hat sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Ja. Er hat mir über einen Freund einen Brief zukommen lassen. Ganz schön clever von ihm. Also
hab ich den Brief bekommen, ohne dass meine Eltern davon erfahren haben. Er erzählte mir, dass er
jetzt in Edinburgh wäre. Dass es ihm dort besser gefiele als in Stirling. Dass er einen Job hätte
und eine Freundin. Das war alles, keine Adresse oder Telefonnummer.«
»Hat er oft geschrieben?«
»Ab und zu. Er hat viel gelogen. Hat gesagt, er käme erst dann nach Stirling zurück, wenn er
einen Porsche und eine eigene Wohnung hätte, um es Mum und Dad zu beweisen. Dann hat er aufgehört
zu schreiben. Ich hab die Schule abgeschlossen und bin zur Polizei gegangen.«
»Und sind nach Edinburgh gekommen.«
»Nicht sofort, aber irgendwann, ja.«
»Mit der Absicht, ihn zu finden?«
Neil lächelte.
»Überhaupt nicht. Ich vergaß ihn so allmählich. Hatte genug mit meinem eigenen Leben zu
tun.«
»Wie ging's dann weiter?«
»Ich hab ihn eines Nachts aufgegriffen, auf meiner regulären Streife.«
»Was ist überhaupt Ihr Revier?«
»Ich bin in Musselburgh stationiert.«
»Musselburgh? Das ist ja nicht gerade ein Spaziergang von hier. Aber was meinen Sie mit aufgegriffen ?
»Nicht wirklich aufgegriffen, da er eigentlich nichts getan hatte. Er war nur absolut high, und
er war zusammengeschlagen worden.«
»Hat er Ihnen erzählt, was er dort gemacht hatte?«
»Nein, das konnte ich mir aber gut vorstellen.«
»Was denn?«
»Für ein paar Schwule am Calton Hill, die auf Gewalt abfahren, den Punchingball gespielt.«
»Merkwürdig, das hat schon mal jemand erwähnt.«
»So was gibt's. Schnelles Geld für Leute, denen alles scheißegal ist.«
»Und Ronnie war alles scheißegal?«
»Nicht immer. Aber dann wieder... Ich weiß nicht, vielleicht kannte ich ihn doch nicht so gut,
wie ich glaubte.«
»Dann haben Sie angefangen, ihn zu besuchen?«
»An jenem ersten Abend musste ich ihn nach Hause bringen. Am nächsten Tag bin ich dann wieder
gekommen. Er war überrascht, mich zu sehen, konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, dass ich
ihm am Abend vorher geholfen hatte.«
»Haben Sie versucht, ihn von den Drogen runterzukriegen?«
Neil schwieg. Die Tür quietschte in den Angeln.
»Am Anfang ja«, sagte er schließlich. »Aber er schien es im Griff zu haben. Ich weiß, das hört
sich komisch an, nachdem ich gerade erzählt habe, in was für einem Zustand ich ihn am ersten
Abend angetroffen habe. Doch letztlich war es seine Entscheidung, wie er mir immer wieder
sagte.«
»Was hielt er davon, einen Bruder bei der Polizei zu haben?«
»Er fand das lustig. Allerdings bin ich nie in Uniform hierher gekommen.«
»Bis auf heute Abend.«
»Das stimmt. Jedenfalls hab ich ihn ein paar Mal besucht. Wir sind meistens hier in seinem Zimmer
geblieben. Er wollte nicht, dass die anderen mich sehen. Hatte Angst, sie würden den Bullen
riechen.«
Jetzt war es an Rebus zu lächeln. »Sie haben nicht zufällig Tracy verfolgt?«
»Wer ist Tracy?«
»Ronnies Freundin. Sie ist gestern Nacht bei mir zu Hause aufgetaucht. Ein paar Männer hatten sie
verfolgt.«
Neil schüttelte den Kopf. »Das war ich nicht.«
»Aber Sie waren gestern Nacht vor meiner Wohnung?«
»Ja.«
»Und in der Nacht, in der Ronnie starb, waren Sie hier.« Das war hart, aber unbedingt notwendig.
Neil hörte auf, mit der Türklinke herumzuspielen, und schwieg etwa zwanzig bis dreißig Sekunden
lang.
Dann atmete er tief durch.
»Eine Zeit lang, ja.«
»Sie haben das hier verloren.« Rebus hielt ihm den glänzenden Klipp hin, doch Neil konnte ihn bei
dem schwachen Licht der Taschenlampe nicht genau erkennen. Allerdings brauchte er ihn gar nicht
zu sehen, um zu wissen, was es war.
»Meinen Krawattenklipp? Ich hab mich schon gefragt, wo ich den gelassen habe. An dem Tag war mir
die Krawatte abgegangen. Sie steckte in meiner Tasche.«
Rebus machte keinerlei Anstalten, ihm den Klipp zu geben, sondern steckte ihn wieder in seine
Tasche. Neil nickte verstehend.
»Warum haben Sie angefangen, mich zu verfolgen?«
»Ich wollte mit Ihnen reden, aber ich fand nicht den Mut dazu.«
»Sie wollten nicht, dass Ihre Eltern von Ronnies Tod erfahren?«
»Ja. Ich dachte, Sie würden vielleicht nicht rausfinden, wer er ist, doch das haben Sie. Ich weiß
nicht, wie meine Eltern darauf reagieren werden. Im schlimmsten Fall werden sie sich freuen, weil
es ihnen bestätigt, dass sie schon immer Recht hatten, dass es richtig war, keinen Gedanken mehr
an
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