Das zweite Zeichen
in den Eingang gestellt hatte.
Sie schien ihn über das Vorgefallene zu informieren, und er quittierte es mit einem Nicken. Es
war das erste Mal, dass Rebus ihn seit ihrer Begegnung in der Bibliothek sah. Er löste die
Handbremse, setzte rückwärts aus der Parklücke und fuhr los.
»Hier links, dann die nächste rechts.«
Tommy McCall hatte zu viel getrunken, aber sein Orientierungssinn funktionierte anscheinend noch.
Trotzdem hatte Rebus ein komisches Gefühl...
»Die Straße 'runter, und dann ist es das letzte Haus, direkt auf der Ecke.«
»Aber da wohnst du doch gar nicht«, wandte Rebus ein.
»Sehr richtig, Inspector. Da wohnt mein Bruder. Ich dachte, wir gehen auf einen Schlummertrunk
bei ihm vorbei.«
»Mein Gott, Tommy, du kannst doch nicht einfach...«
»Unsinn. Er wird sich freuen, uns zu sehen.«
Als Rebus vor dem Haus anhielt, stellte er mit einem Blick aus dem Seitenfenster erleichtert
fest, dass in Tony McCalls Wohnzimmer noch Licht brannte. Plötzlich schoss Tommys Hand an ihm
vorbei auf die Hupe, und ein lautes Plärren schallte durch die stille Nacht. Rebus stieß die Hand
weg, und Tommy fiel wieder in seinen Sitz zurück, doch er hatte bereits genug angerichtet. Die
Gardine bewegte sich im Wohnzimmer der McCalls, und einen Augenblick später ging an einer Seite
des Hauses eine Tür auf. Tony McCall kam heraus und blickte nervös hinter sich. Rebus kurbelte
das Fenster herunter.
»John?« Tony McCall klang besorgt. »Was ist los?«
Doch bevor Rebus eine Erklärung abgeben konnte, war Tommy bereits aus dem Auto gestiegen und
umarmte seinen Bruder.
»Es ist meine Schuld, Tony. Alles nur meine Schuld. Ich wollte dich einfach sehen, weiter nichts.
Sei mir bitte nicht böse.«
Tony McCall hatte die Situation rasch erfasst und sah zu Rebus, als ob er sagen wollte: du
kannst nichts dafür. Dann wandte er sich seinem Bruder zu.
»Das ist sehr freundlich von dir, Tommy. Lange nicht gesehen. Du solltest besser
reinkommen.«
Tommy McCall drehte sich zu Rebus um. »Siehst du? Ich hab dir doch gesagt, dass wir bei Tony
willkommen sein würden. Bei Tony ist man immer willkommen.«
»Du solltest auch besser reinkommen, John«, sagte Tony.
Rebus nickte unglücklich.
Tony führte sie durch den Flur ins Wohnzimmer. Der Teppich war dick und gab unter den Füßen nach,
die Möbel sahen aus wie aus Schöner Wohnen. Rebus hatte Angst, sich zu setzen, um nur ja
keine Delle in eins der aufgeplusterten Kissen zu machen. Tommy hingegen ließ sich sofort in
einen Sessel fallen.
»Wo sind denn die Kleinen?«, fragte er.
»Im Bett«, antwortete Tony leise.
»Ach, dann weck sie auf. Sag ihnen, ihr Onkel Tommy ist hier.«
Tony ignorierte das. »Ich setz den Kessel auf«, sagte er.
Tommys Augen fielen bereits zu, seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten des Sessels herunter.
Während Tony in der Küche war, betrachtete Rebus das Zimmer genauer. Überall stand Zierrat herum,
auf dem Kaminsims, auf allen verfügbaren Flächen der großen Schrankwand und als Arrangement auf
dem Couchtisch. Es waren kleine Gipsfiguren, schimmernde Glaskreationen und Feriensouvenirs. Auf
Rücken- und Seitenlehnen von Sesseln und Sofa lagen Schoner. Der ganze Raum wirkte überladen und
ungemütlich. Es schien beinah unmöglich, sich dort zu entspannen. Er begriff allmählich, weshalb
Tony McCall an seinem freien Tag in Pilmuir herumgelaufen war.
Eine Frau steckte den Kopf durch die Tür. Ihre Lippen waren dünn und gerade, die Augen wachsam,
aber finster. Sie starrte auf den schlafend daliegenden Tommy McCall, dann entdeckte sie Rebus
und deutete ein Lächeln an. Die Tür ging ein Stück weiter auf, und man konnte sehen, dass sie
einen Bademantel trug. Sie ihn hielt mit einer Hand fest am Hals zusammen, als sie anfing zu
sprechen.
»Ich bin Sheila. Tonys Frau.«
»Ja, hallo, John Rebus.« Rebus machte Anstalten aufzustehen, doch eine nervös flatternde Hand
ließ ihn sich wieder hinsetzen.
»Ach ja«, sagte sie. »Tony hat schon häufiger von Ihnen erzählt. Sie arbeiten zusammen, nicht
wahr?«
»Das stimmt.«
»Ja.« Sie war unkonzentriert und wandte den Blick wieder Tommy McCall zu. Ihre Stimme wurde
plötzlich völlig tonlos. »Sehen Sie sich ihn doch an. Den erfolgreichen Bruder. Eigene Firma,
großes Haus. Sehen Sie ihn sich doch nur an.« Sie schien eine Rede über soziale Ungerechtigkeit
loslassen zu wollen, als sie von ihrem Mann unterbrochen wurde, der sich gerade mit einem Tablett
in der Hand an ihr
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