Das zweite Zeichen
Maut und fuhr hinüber, aber er ließ sich Zeit, weil er wie immer die
Aussicht genießen wollte. Die Marinewerft von Rosyth lag unter ihm auf der linken Seite.
Viele seiner Schulfreunde (wobei »viel« relativ war; er hatte nie viele Freunde gehabt) hatten in
Rosyth problemlos Jobs gefunden und waren vermutlich immer noch dort. Das schien so ungefähr der
einzige Ort in Fife zu sein, wo es noch Arbeit gab. Die Bergwerke hatten in schöner
Regelmäßigkeit schließen müssen. Irgendwo an der Küste, in der anderen Richtung, gruben Männer
noch unter dem Forth und schaufelten immer unrentablere Kohle heraus...
Hyde! Calum McCallum wusste etwas über Hyde! Und er wusste auch, dass Rebus das interessierte.
Also musste es sich herumgesprochen haben. Sein Fuß trat das Gaspedal weiter durch. McCallum
würde natürlich einen Handel mit ihm abschließen wollen. Die Anklage ganz fallen lassen oder
zumindest irgendwie harmlos umfrisieren. Na gut, er würde ihm die Sonne, den Mond und die Sterne
versprechen.
Damit er es endlich wusste. Wusste, wer Hyde war, wusste, wo Hyde war. Damit er endlich
wusste...
Die Hauptwache der Polizei von Dunfermline war leicht zu finden, da sie ganz in der Nähe eines
Kreisverkehrs am Stadtrand lag. Gill war ebenfalls leicht zu finden. Sie saß nämlich in ihrem
Auto auf dem großen Parkplatz vor der Wache. Rebus parkte gleich neben ihr, stieg aus seinem Auto
aus und an der Beifahrerseite ihres Wagens ein.
»Morgen«, sagte er.
»Hallo, John.«
»Alles in Ordnung?« Das war bei näherem Hinsehen wahrscheinlich die dümmste Frage, die er je
gestellt hatte. Ihr Gesicht war blass und eingefallen, und ihr Kopf schien zwischen den Schultern
zu versinken, während ihre Hände auf dem Lenkrad lagen und die Fingerspitzen leise auf dem
Armaturenbrett trommelten.
»Mir geht's gut«, sagte sie, und beide lächelten über die Lüge. »Ich hab dem Diensthabenden
Bescheid gesagt, dass du kommst.«
»Soll ich deinem Freund irgendwas ausrichten?«
Ihre Stimme klang fest. »Nein.«
»Okay.«
Rebus stieß die Autotür auf, aber er schloss sie ganz sanft, als er ging, hinüber zum Eingang der
Wache.
Seit über einer Stunde war sie durch die Flure des Krankenhauses geirrt.
Es war gerade Besuchszeit, deshalb störte es niemanden sonderlich, wenn sie den ein oder anderen
Krankensaal betrat, an Betten vorbeiging, ab und zu den alten, kranken Männern und Frauen
zulächelte, die mit einsamen Augen zu ihr heraufstarrten. Sie beobachtete, wie Familien zu
entscheiden versuchten, wer als Nächstes an Opas Bett sitzen sollte, weil immer nur zwei Personen
gleichzeitig zugelassen waren. Sie suchte nach einer bestimmten Frau, obwohl sie sich nicht
sicher war, ob sie sie wiedererkennen würde. Den einzigen Anhaltspunkt, den sie hatte, war die
Tatsache, dass die Bibliothekarin eine gebrochene Nase hatte.
Vielleicht hatte man sie gar nicht dabehalten. Vielleicht war sie bereits wieder zu Hause bei
ihrem Mann oder Freund oder was auch immer. Vielleicht sollte Tracy lieber warten und noch einmal
in die Bibliothek gehen. Nur dass man dort nun besonders auf sie Acht geben würde. Der Mann an
der Aufsicht würde sie erkennen. Die Bibliothekarin würde sie erkennen.
Aber würde sie die Bibliothekarin erkennen?
Eine Glocke ertönte und machte ihr unmissverständlich klar, dass die Besuchszeit zu Ende ging.
Sie eilte zum nächsten Krankensaal und fragte sich: wenn nun die Bibliothekarin in einem
Privatzimmer liegt?
Oder in einem anderen Krankenhaus? Oder...
Nein! Da war sie! Tracy blieb abrupt stehen, machte eine Kehrtwendung und ging auf die andere
Seite des Krankensaals. Besucher verabschiedeten sich von den Patienten und wünschten ihnen gute
Besserung. Alle wirkten erleichtert, sowohl die Besucher als auch die Besuchten. Sie mischte sich
unter die Leute, die Stühle zurück auf einen Stapel stellten und Mäntel, Schals und Handschuhe
anzogen. Dann zögerte sie und schaute noch einmal zum Bett der Bibliothekarin. Auf beiden Seiten
standen mehrere Blumensträuße, und der einzige Besucher, ein Mann, beugte sich gerade über die
Bibliothekarin, um ihr einen langen Kuss auf die Stirn zu geben. Die Bibliothekarin drückte dem
Mann die Hand, und... Und der Mann kam Tracy bekannt vor. Sie hatte ihn schon mal gesehen... Auf
der Polizeiwache! Er war ein Freund von Rebus, und er war Polizist! Sie erinnerte sich jetzt,
dass er nach ihr gesehen hatte, als sie in der Zelle festgehalten worden war.
O Gott, sie
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