Das zweite Zeichen
Bücherliebhaber sind.« Lanyon betrachtete die
Bücherregale. »Das ist mein Lieblingsraum im ganzen Haus. Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt
Partys gebe. Es wird wohl von mir erwartet, und deshalb mache ich es eben. Außerdem ist es
natürlich interessant, die diversen Permutationen zu beobachten. Wer mit wem redet, wessen Hand
zufällig gerade wessen Arm ein wenig zu zärtlich drückt. Diese Art Dinge.«
»Von hier aus werden Sie nicht viel davon mitbekommen«, sagte Rebus.
»Aber Saiko erzählt es mir. Sie ist wunderbar in diesen Dingen. Sie kriegt alles mit, egal, wie
vorsichtig die Leute sind. Sie hat mir zum Beispiel von Ihrem Jackett erzählt. Beige, hat sie
gesagt, aus Cord, passt weder zum Rest Ihrer Kleidung noch sitzt es richtig. Also ist es
geliehen, hab ich Recht?«
Rebus applaudierte im Stillen. »Bravo«, sagte er. »Das ist es wohl, was Sie zu so einem guten
Anwalt macht.«
»Nein, jahrelanges Studium hat mich zu einem guten Anwalt gemacht. Aber um ein bekannter Anwalt zu sein, dazu braucht man nur ein paar einfache Partytricks. Wie den, den ich Ihnen gerade
gezeigt habe.«
Lanyon ging an Rebus vorbei. Am Schreibtisch blieb er stehen und sah die Papiere durch.
»Wollten Sie hier irgendwas Besonderes sehen?«
»Nein«, sagte Rebus, »nur den Raum.«
Lanyon schaute ihn lächelnd an. Er schien ihm nicht ganz zu glauben.
»Es gibt viel interessantere Räume hier im Haus. Aber die halte ich verschlossen.«
»Ach?«
»Es braucht doch beispielsweise nicht jeder zu wissen, was für Bilder man besitzt.«
»Ja, ich verstehe.«
Lanyon setzte sich jetzt an den Schreibtisch und schob sich eine Brille mit Halbgläsern auf die
Nase. Er schien sich plötzlich sehr für die Papiere vor ihm zu interessieren.
»Ich bin James Carews Nachlassverwalter«, sagte er. »Ich war gerade dabei zu klären, wer von
seinem Testament profitiert.«
»Eine furchtbare Sache.«
Lanyon schien ihn nicht zu verstehen. Dann nickte er. »Ja. Tragisch.«
»Sie haben ihm wohl ziemlich nahe gestanden?«
Lanyon lächelte erneut, so als ob er wüsste, dass diese Frage bereits mehreren Leuten auf der
Party gestellt worden war. »Ich kannte ihn recht gut«, sagte er schließlich.
»Wussten Sie, dass er homosexuell war?«
Rebus hatte auf eine Reaktion gehofft. Es kam keine, und er verfluchte sich, dass er seinen
Trumpf so früh ausgespielt hatte.
»Natürlich«, sagte Lanyon mit gleich bleibend ruhiger Stimme. Er sah Rebus an. »Soweit ich weiß,
ist das kein Verbrechen.«
»Das kommt ganz darauf an, Sir, wie Sie wissen sollten.«
»Was meinen Sie damit?«
»Als Anwalt müssen Sie doch wissen, dass es immer noch gewisse Gesetze gibt...«
»Ja, ja, natürlich. Aber Sie wollen doch hoffentlich nicht unterstellen, dass James in
irgendwelche schmutzigen Sachen verwickelt war.«
»Was glauben Sie, weshalb er sich umgebracht hat, Mr. Lanyon? Ich hätte gern Ihre Meinung
als Jurist gehört.«
»Er war ein Freund von mir. Da spielen juristische Erwägungen keine Rolle.« Lanyon starrte auf
die schweren Vorhänge vor seinem Schreibtisch. »Ich weiß nicht, warum er Selbstmord begangen hat.
Vielleicht werden wir es nie erfahren.«
»Darauf würde ich nicht wetten, Sir«, sagte Rebus, während er auf die Tür zuging. Dort legte er
die Hand auf die Klinke und blieb stehen. »Es würde mich interessieren, wer nun tatsächlich von
dem Vermögen profitieren wird natürlich erst, wenn Sie alles durchgearbeitet haben.«
Lanyon schwieg. Rebus öffnete die Tür, machte sie wieder hinter sich zu und blieb einen
Augenblick auf dem Treppenabsatz stehen, um tief durchzuatmen. Keine schlechte Vorstellung,
dachte er bei sich.
Zumindest hatte er sich damit einen Drink verdient. Und diesmal würde er im Stillen einen
Toast zum Gedenken an James Carew aussprechen.
Kindermädchen zu spielen war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung, aber er hatte die ganze
Zeit gewusst, dass es dazu kommen würde.
Tommy McCall sang hinten im Auto eine Rugby-Hymne, während Rebus hastig Saiko, die im Eingang
stand, zum Abschied zuwinkte. Sie rang sich sogar ein Lächeln ab. Nun ja, schließlich tat er ihr
sogar einen Gefallen, indem er einen lärmenden Betrunkenen unauffällig von dem Anwesen
entfernte.
»Bin ich verhaftet, John?«, brüllte McCall mitten zwischen seiner Singerei.
»Nein! Jetzt halt um Himmels willen die Klappe!« Rebus stieg ins Auto und ließ den Motor an. Er
blickte ein letztes Mal zurück und sah, dass Lanyon sich zu Saiko
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