Das zweite Zeichen
Hörer zu
reichen.
»Hallo?« Er war verblüfft; wer zum Teufel wusste denn, dass er hier war?
»Brian, wo haben Sie denn um Himmels willen gesteckt?« Es war natürlich Rebus. »Ich hab Sie
überall gesucht. Ich bin im Krankenhaus.«
Holmes stockte das Herz. »Nell?«, sagte er so theatralisch, dass der Kopf der Bibliothekarin
hochschoss.
»Was?«, knurrte Rebus. »Nein, nein, Nell geht's gut. Sie hat mir bloß gesagt, wo ich Sie
erreichen kann. Ich rufe aus dem Krankenhaus an, und das kostet mich ein Vermögen.« Wie zur
Bestätigung ertönte ein Tut-tut-tut, gefolgt von dem Klappern der Münzen, die durch den
Einwurfschlitz geschoben wurden. Die Verbindung war wieder hergestellt.
»Mit Nell ist alles okay«, sagte Brian zu der Bibliothekarin. Sie nickte erleichtert und wandte
sich wieder ihrer Arbeit zu.
»Natürlich ist alles okay mit ihr«, sagte Rebus, der die Worte mitbekommen hatte. »Jetzt hören
Sie zu. Ich möchte, dass Sie ein paar Dinge für mich erledigen. Haben Sie Papier und
Stift?«
Brian fand beides auf dem Schreibtisch. Er musste lächeln, weil er sich an das erste
Telefongespräch erinnerte, das er je mit John Rebus geführt hatte. Es ähnelte diesem so sehr: ein paar Dinge zu erledigen Meine Güte, wie viel war seitdem geschehen...
»Haben Sie das?«
Holmes erschrak. »Tut mir Leid, Sir«, sagte er. »Ich war mit den Gedanken ganz woanders. Könnten
Sie das bitte wiederholen?«
Ein deutlich hörbares Geräusch, eine Mischung aus Verärgerung und Ungeduld, kam aus dem Hörer.
Dann begann Rebus von vorn, und diesmal hörte Brian Holmes jedes Wort.
Tracy hätte nicht sagen können, warum sie Nell Stapleton besucht oder warum sie ihr das alles
erzählt hatte. Sie spürte eine Art Verbindung zwischen ihnen, nicht nur wegen dem, was sie getan
hatte.
Nell Stapleton hatte etwas an sich, etwas Kluges und Gütiges, etwas, das Tracy in ihrem
bisherigen Leben gefehlt hatte. Vielleicht fiel es ihr deshalb so schwer, das Krankenhaus zu
verlassen. Sie war durch die Flure gelaufen, hatte in einem Café gegenüber vom Hauptgebäude zwei
Tassen Kaffee getrunken, war durch die Notaufnahme spaziert, durch die Röntgenabteilung, selbst
durch irgendeine Spezialabteilung für Diabetiker. Schließlich hatte sie sich doch auf den Weg
gemacht, war aber nur bis zur städtischen Kunsthochschule gekommen. Dort hatte sie kehrtgemacht
und war die zweihundert Schritte zurück zum Krankenhaus gegangen.
Sie wollte gerade durch das Tor an der Seite gehen, als die Männer sie schnappten.
»Hey!«
»Würden Sie bitte mit uns kommen, Miss.«
Sie hörten sich an wie Leute vom Sicherheitsdienst oder sogar wie Polizisten, deshalb leistete
sie keinen Widerstand. Vielleicht wollte der Freund von Nell Stapleton sie sehen und ihr eine
ordentliche Abreibung verpassen. Es war ihr egal. Sie führten sie zum Eingang des Krankenhauses,
deshalb wehrte sie sich nicht. Bis es zu spät war.
Im letzten Augenblick blieben die beiden Männer abrupt stehen, drehten Tracy um und stießen sie
hinten in einen Krankenwagen.
»Hey! Was soll das?« Die Türen fielen bereits zu, und sie war allein in dem heißen, düsteren
Innenraum. Sie hämmerte gegen die Türen, doch das Fahrzeug setzte sich schon in Bewegung. Durch
den Ruck beim Anfahren wurde sie gegen die Türen geschleudert, dann wieder auf den Boden. Als sie
sich ein wenig erholt hatte, sah sie, dass es sich um einen alten Krankenwagen handelte, der
nicht mehr für seinen ursprünglichen Zweck benutzt wurde. Die Innenausstattung war entfernt
worden, so dass das Fahrzeug jetzt nur noch ein ganz normaler Kleinbus war. Die Fenster waren mit
Brettern verrammelt, und eine Metallplatte trennte Tracy vom Fahrer. Mit zusammengebissenen
Zähnen kroch sie bis zu dieser Platte und begann, mit den Fäusten dagegen zu schlagen.
Irgendwann schrie sie laut auf, als ihr klar geworden war, dass die beiden Männer, die sie eben
am Tor geschnappt hatten, dieselben waren, die ihr an jenem Tag auf der Princes Street gefolgt
waren, an dem Tag, an dem sich sie zu John Rebus geflüchtet hatte. »O Gott«, murmelte sie, »o
Gott, o Gott.«
Sie hatten sie am Ende doch gefunden.
Der Abend war schwül, die Straßen für einen Samstag ruhig. Rebus klingelte an der Tür und
wartete. Währenddessen schaute er nach links und rechts. Eine Doppelreihe wunderschöner
georgianischer Häuser, deren steinerne Fassaden Zeit und Autoabgase allerdings dunkel gefärbt
hatten. In vielen der Häuser waren
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