Daughter of Smoke and Bone
hatte Akiva gefragt. »Von welchem Vogel stammt denn dieser Knochen, dass er Magie besitzt?«
»Oh, das ist keine Magie. Die Wünsche werden nicht wirklich wahr.«
»Warum macht man es dann?«
Sie zuckte die Achseln. »Hoffnung? Hoffnung kann große Kraft besitzen. Vielleicht steckt keine echte Magie in ihm, aber wenn man weiß, was man am meisten hofft, und diese Hoffnung wie ein Licht in sich scheinen lässt, dann können Wünsche wahr werden. Fast wie durch Magie.«
Er versank in ihr. Das Strahlen ihrer Augen erweckte etwas in ihm, das ihn erkennen ließ, dass er sein Leben in einem Nebel, nur halb lebend und halb fühlend, verbracht hatte – bestenfalls. »Und was hoffst du am meisten?«, fragte er, denn er wollte es ihr geben, ganz gleich, was es sein mochte.
Aber sie zierte sich. »Das darf man nicht verraten. Komm, wünsch dir was mit mir.«
Akiva streckte die Hand aus und hakte einen Finger um den schlanken Sporn des Knochens. Was er sich am meisten wünschte, war etwas, das er sich, bevor er Madrigal kennenlernte, noch nie gewünscht hatte. Und es wurde wahr, in dieser Nacht und in vielen anderen danach. Eine kurze, leuchtende Spanne des Glücks, der Angelpunkt, um den sein Leben sich drehte. Denn der Grund für alles, was er seither getan hatte, war, dass er Madrigal geliebt und sie verloren hatte. Und sich selbst ebenfalls.
Und nun? Er flog zu Karou mit der Wahrheit in Händen, mit diesem zerbrechlichen Ding, das »fast wie Magie«, war.
Nur
fast
? Diesmal nicht.
Dieser Wunschknochen war voller Magie, er versprühte sie geradezu. Brimstones Signatur war darauf ebenso deutlich wie auf den Portalen, die Akiva ein solcher Dorn im Auge waren. Der Knochen enthielt die Wahrheit und damit auch die Macht, Karou dazu zu bringen, dass sie ihn hasste.
Und wenn der seltsame Knochen einfach verschwand – so ein winziges Ding konnte doch leicht ins Meer fallen –, was dann? Karou brauchte es nie zu erfahren. Dann konnte er sie haben, sie lieben. Oder noch genauer: Wenn es keinen Wunschknochen gab, dann konnte sie
ihn
lieben.
Ein giftiger Gedanke, der Akiva mit Selbsthass erfüllte. Doch sosehr er ihn zu verdrängen versuchte, der Knochen ließ ihm keine Ruhe.
Sie braucht es nie zu erfahren
, schien er zu sagen, wie er da auf seiner offenen Hand lag. Und das Mittelmeer, das tief und sonnengesprenkelt unter ihm lag, stimmte ihm zu.
Sie braucht es nie zu erfahren.
Aleph
Karou war genau dort, wo Akiva sie sich vorgestellt hatte, in einem Café am Rand des Djemaa el-Fna, unruhig, weil sie den Wunschknochen nicht bei sich hatte. Früher hatten ihre Finger keine andere Beschäftigung gebraucht, als einen Stift zu halten. Doch nun lag das Skizzenbuch offen vor ihr auf dem Tisch, in der nordafrikanischen Sonne blendeten die weißen Seiten, aber sie zappelte herum, unkonzentriert, und ihre Augen suchten fast zwanghaft den Platz nach Akiva ab.
Er wird kommen, sagte sie sich immer wieder, er wird mir den Wunschknochen zurückbringen. Ganz bestimmt.
Falls er noch lebte.
Hatten sie ihm etwas angetan, die anderen Seraphim? Inzwischen waren schon zwei Tage verstrichen. Was, wenn … Nein. Er lebte. Sich etwas anderes vorzustellen … Karou verscheuchte den Gedanken. Absurderweise ging ihr ständig die Erinnerung durch den Kopf, wie Kishmish vor Jahren die Kolibrimotte verschlungen hatte – dieser plötzliche Moment, der abrupte Übergang von lebendig in nichtlebendig. Von einem Augenblick zum andern. Einfach so.
Nein.
Ihre Gedanken schweiften ab und fanden einen Fokus bei dem Wunschknochen. Was bedeutete es, dass er diesen Effekt auf Akiva gehabt hatte? Was wollte er ihr wohl erzählen? Und was hatte ihn dazu gebracht, auf die Knie zu fallen? Das Rätsel ihrer Existenz nahm eine dunkle Färbung an, und sie spürte einen nervösen Schauder. Die Erinnerung an Zuzana und Mik drängte sich auf, an ihren Gesichtsausdruck – fassungslos und voller Angst. Vor
ihr
! Bei der Zwischenlandung in Casablanca hatte sie etwas Aufenthalt gehabt und Zuzana angerufen. Aber sie hatten gestritten.
»Was machst du denn?«, wollte Zuzana sofort wissen. »Lass uns nicht in die Zeit mysteriöser Aufträge zurückfallen, Karou.«
Es hätte keinen Sinn, wenn Karou jetzt die Verschlossene spielte, also erzählte sie Zuzana von ihrem Plan. Auch, wenn es sie keineswegs überraschte, dass ihre Freundin Akivas Meinung teilte, dass das Vorhaben viel zu gefährlich war und dass Brimstone ihr Verhalten nicht billigen würde.
»Ich
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