Daughter of Smoke and Bone
möchte, dass du meine Wohnung nimmst«, sagte Karou. »Ich habe schon den Vermieter angerufen. Er hat einen Schlüssel für dich, und sie ist bezahlt, für die nächsten …«
»Ich will deine blöde Wohnung aber nicht«, unterbrach Zuzana sie. Zuzana wohnte bei einer Tante, die schon etwas älter war und gerne Kohl kochte, und hatte schon mehrmals im Scherz angedroht, Karou umzubringen, um deren Wohnung zu bekommen. »Ich will sie nicht, weil
du
nämlich gefälligst darin wohnst. Du wirst nicht einfach so verschwinden, Karou. Wir sind doch nicht in irgendeiner verdammten Narnia-Geschichte.«
Man konnte nicht vernünftig mit Zuzana reden, und das Gespräch endete unschön. Dann saß Karou alleine da, das Telefon noch warm in den Händen, und es gab niemanden sonst, den sie hätte anrufen können. Mit erschreckender Klarheit musste sie zur Kenntnis nehmen, dass sie sich nur sehr wenigen Menschen in ihrem Leben nahe fühlte. Sie dachte an Esther, ihre gefälschte Großmutter, und wurde auf einmal sehr traurig – darüber, dass es für sie ein Normalzustand war, sich mit einem Ersatz abzufinden. Um ein Haar hätte sie ihr Handy spontan in den Müll geworfen – sie hatte sowieso kein Aufladegerät dabei –, aber am nächsten Morgen war sie sehr froh, dass sie es nicht getan hatte. Im Café vibrierte das Handy nämlich mit fast leerem Akku in ihrer Tasche und zeigte ihr die Nachricht:
Nichts zu essen da. Nirgends. Danke, dass du mich verhungern lässt. *abkratz*
Karou musste lachen, stützte das Gesicht in die Hände, und dann weinte sie ein bisschen. Als ein älterer Mann neben ihr stehen blieb und sie fragte, ob alles in Ordnung sei, war sie nicht ganz sicher.
Zwei Tage war sie nun schon hier, zwei Nächte hatte sie versucht, in ihrem gemieteten Zimmer ganz in der Nähe zu schlafen. Sie hatte Razgut ausfindig gemacht, nur um zu wissen, wo er war, und ihn wieder verlassen, ohne ihm seinen Gavriel zu geben, obwohl er lauthals jammernd danach verlangte. Sie würde den Wunsch für ihn einsetzen, wenn die Zeit zum Aufbrechen gekommen war.
Aufbrechen. Mit oder ohne Akiva, mit oder ohne ihren Wunschknochen.
Wie lange sollte sie noch warten?
Nach zwei Tagen und zwei nicht enden wollenden Nächten waren Karous Augen nervös und ungeduldig, ihr Herz sehnsüchtig und leer. Was noch an Widerstand in ihr gewesen war, hatte sie längst aufgegeben. Ihre Hände wussten, was sie wollten. Sie wollten Akiva, sein Strahlen, seine Leidenschaft. Selbst in der Wärme des marokkanischen Frühlings war ihr kalt, und sie hatte das Gefühl, dass nur er das ändern könnte. Am dritten Morgen, als sie durch die Souks zum Djemaa el-Fna schlenderte, kaufte sie sich etwas Ausgefallenes.
Fingerlose Handschuhe. Sie hatte sie an einem der zahlreichen Verkaufsstände entdeckt, dicht gestrickt und aus gestreifter Berberwolle, die Handflächen mit Leder verstärkt. Karou kaufte sie und zog sie gleich an. Die Handschuhe verdeckten ihre Hamsas vollkommen, und Karou konnte sich nicht vormachen, dass sie sie der Wärme wegen gekauft hatte. Sie wusste, was sie wollte – das Gleiche wie ihre Hände: Akiva berühren, aber nicht nur mit den Fingerspitzen, nicht zögernd, nicht vorsichtig, und sie wollte auch keine Angst haben, ihm dabei weh zu tun. Sie wollte ihn halten und von ihm gehalten werden, in sanfter, perfekter Einheit, wie in einem langsamen Tanz. Sie wollte sich an ihn schmiegen, ihn einatmen, an ihm lebendig werden, ihn entdecken, sein Gesicht mit den Händen umfassen, wie er ihres umfasst hatte, voller Zärtlichkeit.
Voller Liebe.
»Die Liebe wird kommen, und du wirst es wissen«, hatte Brimstone ihr versprochen, und obwohl er sich bestimmt nie hätte träumen lassen, dass die Liebe ihr in Gestalt des Feindes begegnen würde, war sie überzeugt, dass er recht gehabt hatte. Sie wusste es wirklich. Es war einfach und umfassend, wie Hunger oder Glück, und als sie am dritten Morgen von ihrem Tee aufblickte und Akiva auf dem Platz entdeckte, wie er sie, aus ungefähr zwanzig Metern Entfernung, ansah, da erschauerte sie, als wären ihre Nerven von Sternenlicht durchflutet. Er war endlich gekommen –
unversehrt
.
Karou erhob sich von ihrem Stuhl.
Und fragte sich sofort, warum er auf Distanz blieb.
Als er auf sie zukam, mit schweren Schritten und verschlossenem Gesicht, langsam, zögernd, da schwand ihre Sicherheit. Sie streckte nicht die Arme nach ihm aus, sie blieb einfach hinter ihrem Tisch stehen. Das Sternenlicht zog sich in die
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