Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Daughter of Smoke and Bone

Daughter of Smoke and Bone

Titel: Daughter of Smoke and Bone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
Vom Netzwerk:
anderes Leben, ein Phantomleben sie aus nächster Nähe lockte und verhöhnte. Und beim Zeichnen oder Spazierengehen – einmal war es auch beim Tanzen mit Kaz passiert – überkam sie bisweilen plötzlich das Gefühl, dass sie etwas anderes mit ihren Händen machen sollte, mit ihren Beinen, mit ihrem Körper. Etwas anderes. Etwas
ganz anderes
.
    Aber was?
    Sie erreichte den Platz, und wie sie so durch das Chaos wanderte und Motorrädern oder Akrobaten auswich, passten sich ihre Bewegungen ganz automatisch den Rhythmen der mystischen Gnawa-Musik an. Wo Fleisch gegrillt wurde, stiegen so dicke Rauchschwaden auf, als würde ein Haus abbrennen, Jungs raunten ihr »Haschisch« zu, und kostümierte Wasserverkäufer schrien: »Foto! Foto!« In einiger Entfernung erspähte sie die buckelige Gestalt von Izîl, zwischen Hennakünstlern und Straßenzahnärzten.
    Jedes Mal, wenn sie ihn nach einem Monat wiedersah, war sein Verfall ein Stück weiter fortgeschritten. Als Karou ein Kind war, war er ein Doktor und Gelehrter gewesen – ein freundlicher, vornehmer Mann mit sanften braunen Augen und einem seidigen Schnurrbart. Er war selbst in den Laden gekommen und hatte seine Geschäfte an Brimstones Tisch getätigt, und im Gegensatz zu all den anderen Händlern war er ein gerngesehener Gast. Er flirtete mit Issa und brachte ihr kleine Geschenke mit – aus Samenschoten geschnitzte Schlangenfiguren, Ohrringe mit Jadeanhängern, Mandeln. Karou schenkte er Puppen und ein winziges silbernes Teeservice für sie alle. Und auch Brimstone kam nicht zu kurz; für ihn hinterließ Izîl ganz beiläufig Schokolade oder Honiggläser auf dem Tisch, wenn er ging.
    Doch dann traf er eine Entscheidung, die sein Leben zerstörte und ihn in den Wahnsinn trieb.
    Als Karou ihn jetzt sah, überkam sie großes Mitgefühl. Sein Rücken war fast völlig krumm, und sein knorriger Olivenholz-Gehstock war alles, was seine bucklige Gestalt davor bewahrte, nach vorne zu kippen. Sein Gesicht war mit Blutergüssen übersät, und seine Zähne, die nicht seine eigenen waren, wirkten übergroß in seinem eingefallenen Gesicht. Der Schnurrbart, sein einstiger Stolz, war ausgedünnt, strähnig und verfilzt. Für Passanten war er eine erbarmungswürdige Kreatur, doch Karou, die wusste, wie er noch vor ein paar Jahren ausgesehen hatte, erkannte die Tragödie.
    Sein Gesicht leuchtete auf, als er sie sah. »Schau nur, wer da ist! Die schöne Tochter des Wunschhändlers, süße Botschafterin der Zähne! Bist du gekommen, um einem alten Mann eine Tasse Tee zu spendieren?«
    »Hallo, Izîl. Eine Tasse Tee wäre wunderbar«, antwortete sie und führte ihn zu dem Café, wo sie sich normalerweise trafen.
    »Meine Liebe, ist der Monat unbemerkt an mir vorbeigezogen? Ich fürchte, ich hatte unsere Verabredung ganz vergessen.«
    »O nein, das hast du nicht. Ich bin zu früh dran.«
    »Ah. Also, es ist mir immer ein Vergnügen, dich zu sehen, aber ich habe nicht viel für den alten Teufel, fürchte ich.«
    »Aber du hast welche?«
    »Ein paar.«
    Im Gegensatz zu den anderen Händlern beschaffte Izîl die Zähne weder durch Jagd noch durch Mord; er brachte niemanden um. Früher hatte er als Arzt in Krisengebieten gearbeitet und dadurch Zugang zu den Zähnen von Kriegsopfern gehabt, die niemand vermissen würde. Jetzt, da der Wahnsinn ihn seines Lebensunterhalts beraubt hatte, musste er Gräber plündern.
    Plötzlich blaffte er: »Sei still! Benimm dich, und dann sehen wir weiter.«
    Karou wusste, dass er nicht mit ihr redete, und tat höflicherweise so, als hätte sie ihn nicht gehört.
    Sie kamen beim Café an. Als Izîl sich auf seinen Stuhl fallen ließ, ächzte der unter seinem Gewicht, und die Beine bogen sich, als säße etwas viel Schwereres darauf als dieser verwahrloste Mann.
    »Wie geht es meinen alten Freunden?«, fragte er, als er sich zurechtgesetzt hatte. »Issa?«
    »Ihr geht es gut.«
    »Ich vermisse ihr Gesicht. Hast du neue Zeichnungen von ihr?«
    Karou zeigte ihm, was sie dabeihatte.
    »Schön.« Er fuhr mit der Fingerspitze Issas Wange nach. »So schön. Das Modell und die Zeichnung. Du bist sehr talentiert, meine Liebe.« Als er den somalischen Wilderer sah, schnaubte er: »Idioten. Was Brimstone alles über sich ergehen lassen muss, wenn er mit Menschen Handel treibt.«
    Karou zog die Augenbrauen hoch. »Ach komm, ihr Problem ist nicht, dass sie Menschen sind, sondern dass sie
Unter
menschen sind.«
    »Stimmt schon. Jede Rasse hat wohl ihre schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher