Daughter of Smoke and Bone
Tee in ihrer Tasse, schwenkte das Ganze ein paarmal kräftig herum und schüttete dann den Mischmasch aus Minzblättern und etwas weniger schmutzigen Zähnen wieder aus. Einen nach dem anderen hob sie Schneidezähne, Backenzähne, Eckzähne, Zähne von Erwachsenen und von Kindern mit spitzen Fingern hoch. »Izîl. Du weißt doch, dass Brimstone keine Babyzähne annimmt.«
»Du hast doch keine Ahnung, Mädel«, fuhr er sie an.
»Wie bitte?«
»Manchmal nimmt er sie sehr wohl an.
Einmal.
Einmal wollte er welche.«
Karou glaubte ihm nicht. Brimstone kaufte keine Zähne, die nicht vollständig ausgebildet waren, weder von Menschen noch von Tieren. Doch sie sah keinen Sinn darin, mit Izîl zu diskutieren. »Egal.« Sie schob die winzigen Zähne weg und versuchte, nicht an die kleinen Körper zu denken, die in den Massengräbern verwesten. »Er hat nicht darum gebeten, also muss ich sie ablehnen.«
Alle anderen Zähne nahm sie einzeln in die Hand, lauschte ihrem leisen Summen und sortierte sie anschließend in zwei Häufchen.
Angespannt sah Izîl ihr zu, und sein Blick huschte von einem Häufchen zum anderen. »Sie haben zu viel gekaut, stimmt’s? Diese gierigen Zigeuner! Sie haben noch weitergekaut, als sie schon tot waren. Keine Manieren. Überhaupt keine Tischmanieren.«
Die meisten Zähne waren abgenutzt, voller Karies und für Brimstone unbrauchbar, also sortierte Karou mehr aus, als sie annehmen würde. Als sie mit dem Sortieren fertig war, deutete Izîl hoffnungsvoll auf den größeren Haufen.
Sie schüttelte den Kopf und fischte ein paar Dirham-Scheine aus der Geldbörse, die Brimstone ihr mitgegeben hatte. Für die paar Zähne bezahlte sie ihm eigentlich zu viel, aber trotzdem weniger, als Izîl erhofft hatte.
»So viel musste ich graben«, stöhnte er. »Und wofür? Papier mit Bildern vom toten König? Immer starren mich die Toten an.« Seine Stimme brach. »Ich kann nicht mehr, Karou. Ich bin erledigt. Ich kann kaum noch eine Schaufel halten. Ich buddele in der harten Erde wie ein Hund. Ich bin am Ende.«
Wieder spürte sie heftiges Mitgefühl. »Bestimmt gibt es andere Möglichkeiten, damit zu leben …«
»Nein. Mir bleibt nur der Tod. Man muss stolz sterben, wenn es nicht mehr möglich ist, stolz zu leben. Das hat Nietzsche gesagt. Weiser Mann. Großer Schnurrbart.« Er zupfte an seinem eigenen schmuddeligen Schnauzer und versuchte zu lächeln.
»Izîl, du willst doch nicht wirklich sterben.«
»Wenn es nur einen Weg geben würde, mich zu befreien …«
»Gibt es denn keinen?«, fragte sie mit ehrlicher Anteilnahme. »Es muss doch irgendwas geben, was du machen kannst.«
Seine Finger zuckten. »Ich denke nicht gerne darüber nach, aber … ich wüsste da schon eine Möglichkeit, wenn du mir hilfst. Du bist die Einzige, die ich kenne, die mutig genug wäre und gut genug … Au!« Seine Hand flog an sein Ohr, und Karou sah Blut zwischen seinen Fingern hervorquellen. Sie wich zurück. Razgut hatte ihn gebissen. »Ich frage sie, wenn ich will, Monster!«, schrie der Grabräuber. »Ja, du bist ein Monster! Es ist mir egal, was du früher warst. Jetzt bist du ein Monster!«
Plötzlich beugte er sich nach hinten und schlug mit den Armen um sich, als würde er mit sich selbst kämpfen. Der Kellner kam aufgeregt angelaufen, und Karou schob ihren Stuhl zurück, um den Hieben der sichtbaren und unsichtbaren Gliedmaßen zu entgehen.
»Hör auf. Hör auf!«, heulte Izîl. Mit wildem Blick hob er seinen Gehstock und ließ ihn so fest er konnte auf seine eigene Schulter niedersausen – und auf das Wesen, das dort hockte. Wieder und wieder schlug er zu, scheinbar in einem wilden Kampf mit sich selbst, dann schrie er gellend auf und stürzte auf die Knie. Sein Gehstock fiel zu Boden, als Izîl sich mit beiden Händen an den Hals griff. Blut tropfte auf den Kragen seiner Jellaba – offenbar hatte das Wesen erneut zugebissen. Der Anblick seines qualvoll verzerrten Gesichts war mehr, als Karou ertragen konnte. Ohne nachzudenken, ging sie neben ihm in die Hocke und nahm seinen Ellbogen, um ihm aufzuhelfen.
Das war ein Fehler.
Im nächsten Moment spürte sie es an ihrem Hals: eine glitschige Berührung. Ekel durchzuckte sie. Es war eine Zunge – Razgut hatte seine Kostprobe bekommen. Sie hörte ein widerwärtiges Schmatzen und wich mit einer heftigen Bewegung zurück. Der Grabräuber blieb auf den Knien liegen.
Doch jetzt reichte es ihr. Sie sammelte die Zähne auf und packte ihr
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