Daughter of Smoke and Bone
Schafe. Habe ich nicht recht, meine Bestie?« Bei den letzten Worten wandte er sich über die Schulter nach hinten, und dieses Mal schien aus der Luft eine leise Antwort zu kommen.
Karou konnte nicht anders. Sie warf einen Blick auf den Boden, wo sich Izîls Schatten deutlich abzeichnete. Es erschien ihr unhöflich, ihn anzustarren, denn sie hatte das Gefühl, sie müsste Izîls Zustand ignorieren wie ein schwachsichtiges Auge oder ein Geburtsmal. Doch Schatten zeigten die Wahrheit, zeigten alles, was man sonst nicht sehen konnte.
Und so verriet ihr Izîls Schatten nun, dass eine massige Kreatur auf seinem Rücken hing, die Arme fest um seinen Hals geschlungen. Das war die Strafe für seine Neugier: Dieses Ding ritt auf ihm wie auf einem Maultier. Zwar verstand Karou nicht, wie es dazu gekommen war, aber sie wusste, dass Izîl sich Wissen gewünscht hatte und sein Wunsch auf diese Art erfüllt worden war. Brimstone hatte sie schon oft gewarnt, dass mächtige Wünsche auch mächtig schiefgehen konnten, und hier war der Beweis.
Sie vermutete, dass das unsichtbare Ding, das sich Razgut nannte, all die Geheimnisse kannte, nach denen Izîl sich gesehnt hatte. Doch was für Geheimnisse es auch immer gewesen sein mochten – dieser Preis war entschieden zu hoch.
Razgut sprach. Karou konnte ein kaum hörbares Flüstern und ein Geräusch wie das leise Schmatzen fleischiger Lippen ausmachen.
»Nein«, sagte Izîl. »Das werde ich sie
nicht
fragen. Sie sagt sowieso nein.«
Voller Unbehagen sah Karou zu, wie Izîl mit Razgut diskutierte. Schließlich sagte der Grabräuber: »Also gut, also gut, still jetzt! Ich frage sie.« Und dann wandte er sich Karou zu und sagte in entschuldigendem Ton: »Er will nur mal kosten. Nur kosten.«
»Kosten?« Sie blinzelte verwirrt. Ihr Tee war noch nicht gebracht worden. »Was will er kosten?«
»
Dich
, Wunschtochter. Nur mal schlecken. Er hat versprochen, dich nicht zu beißen.«
Karou drehte sich der Magen um. Ȁh,
nein
.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, murmelte Izîl. »Bist du jetzt
bitte
still?«
Als Antwort war ein leises Fauchen zu hören.
Ein Kellner in einer weißen Jellaba kam und goss ihnen Pfefferminztee ein, wobei er die Kanne auf Kopfhöhe hielt und haargenau auf die Tassen zielte. Angesichts Izîls eingefallener Wangen bestellte Karou noch Gebäck und ließ ihn essen und trinken, bevor sie ihn fragte: »Also, was hast du für mich?«
Er griff in seine Taschen, holte eine Handvoll Zähne hervor und legte sie auf den Tisch.
***
Aus dem Schatten an einer nahe gelegenen Tür hatte Akiva die Szene beobachtet, und in diesem Moment richtete er sich auf. Um ihn herum wurde alles still, und er sah nichts als die Zähne und das Mädchen, das sie auf die gleiche fachmännische Art inspizierte wie der dämonische Zauberer selbst.
Zähne.
Wie harmlos sie auf der Tischplatte aussahen – klei- ne, schmutzige Dinger. Und wenn sie in dieser Welt bleiben würden, wo sie hingehörten, wären sie das auch. Doch in Brimstones Händen erlangten sie eine finstere Macht.
Akivas Auftrag bestand darin, diesem abscheulichen Geschäft ein Ende zu machen und damit auch der schwarzen Magie des Teufels.
Das Mädchen ging die Zähne offensichtlich mit geübten Händen durch, als würde sie das jeden Tag machen. Angewidert sah Akiva ihr zu, doch gleichzeitig spürte er so etwas wie Enttäuschung. Sie hatte für dieses Geschäft zu unschuldig gewirkt, zu rein, aber offenbar war sie das nicht. Dennoch hatte er recht gehabt mit seiner Vermutung, dass sie nicht nur eine Händlerin war. Sie war eindeutig mehr als das, wie sie dort saß und Brimstones Arbeit verrichtete.
Aber was?
***
»Mein Gott, Izîl«, sagte Karou. »Die sehen ja schlimm aus. Sind die direkt vom Friedhof?«
»Massengrab. Es war versteckt, aber Razgut hat es erschnüffelt. Die Toten findet er immer.«
»Was für eine Gabe.« Karou lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie sich vorstellte, wie Razgut sie lüstern anstarrte und nach einer Kostprobe lechzte. Sie wandte sich wieder den Zähnen zu. An ihren Wurzeln hing nicht nur der Dreck, aus dem sie ausgegraben worden waren, sondern sie entdeckte auch noch Fleischfetzen. Selbst durch den Schmutz konnte man sehen, dass die Zähne alles andere als hochwertig waren, sondern von Leuten stammten, die hartes Essen gekaut, Pfeife geraucht und offenbar noch nie etwas von Zahncreme gehört hatten.
Karou sammelte die Zähne vom Tisch auf und warf sie in den letzten Rest
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