Daughter of Smoke and Bone
ballte reflexartig die Fäuste. Jede schwarze Linie auf seinen Fingern stand für einen getöteten Gegner, und seine ganze Hand war damit übersät.
»Wie viele?«, fragte Izîl. »Weißt du das überhaupt, oder kannst du sie nicht mehr zählen?«
Der zitternde Verrückte, den Akiva vom Boden des Platzes gezerrt hatte, war vollkommen verschwunden. Izîl saß aufrecht – soweit das unter der Last von Razgut möglich war, der jetzt erschüttert zwischen seinem menschlichen Packesel und dem Engel hin und her sah.
In Wahrheit wusste Akiva genau, wie viele Feinde er vernichtet hatte. »Und wie viele Zähne hast du über die Jahre gesammelt?«, schleuderte er Izîl entgegen. »Die kannst du bestimmt nicht mehr zählen.«
»Zähne? Ah, aber ich habe nur Zähne von den Toten genommen!«
»Und du hast sie an Brimstone verkauft. Weißt du, wozu dich das macht? Zu einem Kollaborateur.«
»Kollaborateur? Das sind doch nur Zähne. Er macht Ketten daraus. Ich habe es gesehen. Zähne an Schnüren!«
»Du glaubst, er macht Ketten? Du Narr. Du hast dich jahrelang an unserem Krieg beteiligt, aber du warst zu dumm, um es zu merken. Du sagst mir, ich wäre ein Monster geworden, weil ich mit Monstern kämpfe? Du treibst Handel mit dem Teufel, wozu macht dich das?«
Izîl starrte ihn mit offen stehendem Mund an, dann begriff er plötzlich: »Du weißt es«, stellte er fest. »Du weißt, was er mit den Zähnen macht.«
Verbittert entgegnete Akiva: »Ja, allerdings.«
»Sag es …«
»Sei still!«, schrie der Engel, denn nun war seine Geduld am Ende. »Sag mir, wo ich sie finden kann. Dein Leben ist mir nichts wert. Verstehst du das?« Er hörte, wie brutal er klang, und nahm plötzlich wahr, wie bedrohlich er über diesen armen, gebrochenen Kreaturen aufragte. Was würde Madrigal von ihm denken, wenn sie ihn jetzt sehen könnte? Aber das konnte sie nicht. Und genau darum ging es ja.
Madrigal war tot.
Der alte Mann hatte recht. Akiva war ein Monster, aber nur weil der Feind ihn dazu gemacht hatte. Nicht einmal ein ganzes Leben im Krieg hatte ausgereicht, um ihn zu dem zu machen, was er war. Ein Verbrechen hatte ihn so weit getrieben, ein entsetzliches Verbrechen, das er nie vergessen oder vergeben konnte und für das er Rache an einem Königreich geschworen hatte. »Meinst du, ich könnte dich nicht zum Reden
bringen
?«, stieß er hervor.
Worauf Izîl mit einem Lächeln antwortete: »Nein, Engel. Ich denke, das kannst du nicht.« Und dann ließ er sich über die Brüstung fallen, stürzte sich mit Razgut auf dem Rücken in die Tiefe und fand auf den Dächern Marrakeschs den Tod.
Nicht wer, sondern was
Die Kathedrale nahm Karous Schrei auf und spaltete ihn in eine Symphonie von Schreien, die widerhallten und aufeinanderstießen, so dass der ganze gewaltige Raum von ihrer Stimme erfüllt war. Und dann verstummte sie. Der Chimärenmann brachte sie mit einer Rückhand zum Schweigen, und sie rutschte von der Steinplatte und riss das Turibulum mit sich hinunter, das scheppernd auf dem Boden landete. Er sprang ihr nach, und sie dachte, er würde ihre Kehle mit seinen Zähnen zerfetzen, so nah war sein Gesicht an ihrem, doch dann … wurde er nach hinten gezogen und weggedrängt.
Und Brimstone war da.
Noch nie war Karou so glücklich gewesen, ihn zu sehen. »Brimstone«, keuchte sie, hielt aber plötzlich inne, und ihre Freude schwand. Seine Krokodilsaugen waren zu schwarzen Schlitzen verengt, wie immer, wenn er wütend war, doch falls Karou glaubte, sie hätte ihn schon einmal richtig wütend gesehen, dann stand ihr eine Lektion in wahrer Rage bevor.
Die Zeit schien stillzustehen, während er den Schock, sie hier zu sehen, verarbeitete, und für Karou lag zwischen jedem Herzschlag eine Ewigkeit.
»Karou?«, stieß er ungläubig hervor, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen Grimasse. Sein Atem zischte durch die Zähne, als er mit ausgefahrenen Klauen die Hand nach ihr ausstreckte.
»Wer
ist
das?«, verlangte der weißhaarige Wolf hinter ihm zu wissen.
Brimstone knurrte: »Das ist niemand.«
Karou dachte noch daran, dass sie weglaufen könnte.
Zu spät.
Mit einem Satz war Brimstone bei ihr, packte ihren Arm direkt über der blutdurchtränkten Bandage ihrer letzten Engelswunde und zerquetschte ihn fast. Lichtflecken tanzten vor Karous Augen, und sie ächzte laut auf. Aber er ergriff auch noch ihren anderen Arm und hob sie hoch, bis ihr Gesicht nur noch wenige Millimeter von seinem entfernt war. Ihre
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