Daughter of Smoke and Bone
festsetzen und sie bei Issa und Yasri verraten würde, wenn sie in den Laden zurückging. Den Laden. Beim Gedanken daran, die endlose Wendeltreppe wieder hinaufzustapfen, hätte sie sich am liebsten auf dem Boden zusammengerollt. Ihre Wunden pochten, nässten durch die Bandagen, und die Wirkung von Yasris Balsam ließ nach. Sie hatte Schmerzen.
Aber … dieser Ort. Diese Toten. Mit ihrem benebelten Kopf fühlte sich Karou den Mysterien nicht gewachsen. Die Hand des weißhaarigen Mannes lag direkt vor ihr, und die Hamsas schienen sie zu verhöhnen. Sie legte ihre eigene Hand daneben, um die Markierungen zu vergleichen, aber seine lag im Schatten seines Körpers, also ergriff sie sie und hielt sie ins Licht.
Die Markierungen waren identisch. Das sah sie, während ihre Gedanken bereits damit beschäftigt waren, eine weitere Sinneswahrnehmung zu verarbeiten.
Seine Hand … sie war warm. Sie war nicht tot.
Er
war nicht tot.
Doch die Warnung kam zu spät. Schnell wie ein Peitschenschlag hatte er sich aufgerichtet, seine Hände, die gerade noch reglos in ihren gelegen hatten, packten sie am Hals, hoben sie hoch und warfen sie auf den Steintisch. Ihr Kopf schlug hart gegen den Stein. Ihre Sicht verschwamm. Als sie sich wieder klärte, war er über ihr, die Augen eisbleich, die scharfen Fangzähne gefletscht. Sie konnte nicht atmen. Seine Hände umklammerten immer noch ihren Hals. Sie kratzte und versuchte ihn abzuschütteln, bekam schließlich ihr Knie zwischen sich und ihren Angreifer und trat aus, so fest sie konnte.
Für einen Augenblick lockerte sich sein Griff, und sie schnappte nach Luft, versuchte zu schreien, doch dann war er schon wieder über ihr, schwer, nackt und bestialisch, und sie wehrte sich mit allem, was sie hatte, wehrte sich mit einer Wildheit, die sie beide über die Kante des Tisches auf den Boden warf. Chaos, wild um sich schlagende Gliedmaßen, verzweifelte Gegenwehr, dann hatte er sie am Boden festgenagelt. Er saß rittlings auf ihr, ihre Beine unter seinem massigen Körper eingeklemmt, und starrte sie an, aber im gleichen Moment schien der rasende Wahnsinn aus seinen Augen zu weichen. Seine Lippen schlossen sich über den gefletschten Zähnen, und auf einmal sah er wieder fast menschlich aus, schön, aber immer noch furchteinflößend und … verwirrt.
Er ergriff ihre Handgelenke und bog ihre Finger zurück, um ihre Hamsas sehen zu können, dann musterte er sie durchdringend. Langsam wanderten seine Augen über ihren Körper, so dass sie sich plötzlich nackt vorkam, und schließlich knurrte er in einem Ton, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte: »Wer bist du?«
Sie konnte nicht antworten. Ihr Herz schlug wie wild. Ihre Wunden schmerzten unerträglich. Doch wie immer wusste sie keine Antwort.
»Wer bist du?«
Er zog sie an den Handgelenken hoch, schleuderte sie auf den Tisch zurück und stürzte sich wieder auf sie. Seine Bewegungen waren fließend und animalisch, seine Zähne scharf genug, um ihre Kehle zu zerfetzen, und mit einem Mal sah Karou, wie ihr Verstoß gegen die Regeln enden würde: in einer Blutlache. Sie fand ihre Stimme.
Und schrie.
Blick in den Abgrund
»Mädchen?« Izîl blinzelte zu Akiva empor. »Du … du meinst Karou?«
Karou?
Akiva kannte das Wort. Es hieß
Hoffnung
in der Sprache des Feindes. Also trug sie nicht nur die Hamsas, sie hatte auch den Namen einer Chimäre. »Wer ist sie?«, verlangte er zu wissen.
Offensichtlich verängstigt, richtete der alte Mann sich ein Stück auf. »Warum willst du das wissen, Engel?«
»
Ich
stelle hier die Fragen«, sagte Akiva. »Und ich schlage vor, du beantwortest sie.« Er wollte endlich aufbrechen und sich den anderen anschließen, aber das konnte er nicht, solange dieses Geheimnis nicht gelüftet war. Wenn er nicht jetzt herausfand, wer das Mädchen war, würde er es nie erfahren.
Begierig darauf, seine Hilfsbereitschaft zu zeigen, warf Razgut ein: »Sie schmeckt nach Nektar und Salz. Nach Nektar und Salz und Äpfeln. Nach Blütenstaub und Sternen. Sie schmeckt nach Märchen. Schwanenprinzessin um Mitternacht. Sahne auf der Zunge eines Fuchses. Sie schmeckt nach
Hoffnung
.«
Akivas Gesicht zeigte keine Regung, aber in Wahrheit fand er den Gedanken, dass dieses abscheuliche Wesen das Mädchen
gekostet
hatte, verstörend. Er wartete, bis Razgut in Schweigen verfiel, bevor er mit tiefer, bedrohlicher Stimme sagte: »Ich habe nicht gefragt, wie sie schmeckt. Ich habe gefragt, wer sie
ist
.«
Izîl zuckte die
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