Daughter of Smoke and Bone
bloßen Füße zappelten haltsuchend in der Luft, seine Klauen bohrten sich in ihre Arme. Sie konnte sich nicht bewegen, und so blieb ihr nichts übrig, als in seine Augen zu starren, die in ihrem ganzen Leben nie so fremdartig, so
animalisch
gewirkt hatten wie jetzt.
»Überlass sie mir«, sagte der Wolfsmann.
»Du brauchst Ruhe, Thiago«, erwiderte Brimstone. »Du solltest noch schlafen. Ich erledige das schon.«
»Du erledigst das? Aber wie?«, wollte Thiago wissen.
»Sie wird uns nie wieder belästigen.«
Aus dem Augenwinkel sah Karou die vertraute Gestalt von Twiga mit seinem langen, gebogenen Hals auf den schrägen Schultern und wandte sich ihm zu, doch der Ausdruck in seinem Gesicht war noch schlimmer als Brimstones. Er zeigte gleichzeitig Entsetzen und Angst, als würde er gleich etwas miterleben, was er lieber nicht sehen wollte. Karou geriet in Panik.
»Warte«, keuchte sie und wand sich in Brimstones Griff. »Warte, warte …«
Doch er hatte sich schon in Bewegung gesetzt und trug sie mit großen Sätzen die Treppe hinauf, ohne jede Rücksicht. Karou fühlte sich wie eine leblose Puppe, die in der Hand eines Kleinkindes um Ecken geschleudert, gegen Wände geschlagen, fallen gelassen und herumgeworfen wurde. Früher, als sie es für möglich gehalten hätte – oder vielleicht verlor sie auch nur jegliches Zeitgefühl –, waren sie zurück an der Ladentür, und er stieß sie hindurch. Sie landete nicht auf den Füßen, sondern taumelte zu Boden und schlug im Fallen mit der Wange gegen einen Stuhl. Ein Feuerwerk explodierte hinter ihren Lidern.
Brimstone knallte die Tür hinter ihnen zu und baute sich bedrohlich vor Karou auf. »Was hast du dir dabei gedacht?«, donnerte er. »Du hättest nichts Schlimmeres machen können! Du törichtes Kind! Und ihr!« Er wirbelte zu Yasri und Issa herum, die aus der Küche herbeigeeilt waren und ihn voller Entsetzen anstarrten. Sie zuckten zusammen. »Wenn wir sie hierbehalten, muss es Regeln geben. Regeln, die nie gebrochen werden dürfen! Haben wir uns nicht alle darauf geeinigt?«
»Ja, aber …«, versuchte Issa zu antworten.
Doch Brimstone hatte sich schon wieder auf Karou gestürzt und zerrte sie vom Boden hoch. »Hat er deine Hände gesehen?«, fuhr er sie an. Er war noch nie so laut geworden. Seine Stimme klang krächzend, knirschend, wie Stein auf Stein, und vibrierte in ihrem Schädel. Noch immer umklammerte er ihre Arme wie in einer Schraubzwinge. Einen Moment wurde es weiß vor ihren Augen, und sie befürchtete schon, sie würde in Ohnmacht fallen.
»Hat er sie gesehen?«, wiederholte Brimstone noch lauter.
Sie wusste, dass »nein« die richtige Antwort war, aber sie konnte nicht lügen. »Ja, ja!«, ächzte sie.
Er stieß einen markerschütternden Schrei aus, der ihr mehr Angst einjagte als alles andere in dieser furchtbaren Nacht. »Weißt du, was du angerichtet hast?«
Karou wusste es nicht.
»Brimstone!«, krächzte Yasri. »Brimstone, sie ist verletzt!« Die Papageienfrau schlug so wild mit den Armen als wären es Flügel. Sie versuchte, die Hand des Wunschhändlers von Karous Wunde zu lösen, aber er schüttelte sie ab, zerrte Karou zur Vordertür, zog sie auf und schubste sie hinaus in den Flur.
»Warte!«, schrie Issa. »Du kannst sie doch so nicht einfach vor die Tür setzen …«
Aber Brimstone beachtete sie gar nicht. »Hau ab, los!«, brüllte er Karou an. »Verschwinde!« Er öffnete die äußere Tür des Flurs – noch ein Beweis, wie zornig er war, denn normalerweise hätte er nie zugelassen, dass beide Türen gleichzeitig offen standen, es war die beste Absicherung gegen Eindringlinge von außen – und das Letzte, was sie sah, war sein wutverzerrtes Gesicht, bevor er ihr noch einen Stoß versetzte und die Tür zuknallte.
So plötzlich losgelassen, taumelte Karou noch drei oder vier Schritte rückwärts, bevor sie vom Bordstein stolperte und zusammenbrach. Barfuß und blutend, benommen und keuchend saß sie im schmelzenden Schnee am Straßenrand. Sie war hin- und hergerissen zwischen Erleichterung, dass er sie hatte gehen lassen – für einen Moment hatte sie viel Schlimmeres erwartet –, und Fassungslosigkeit, dass er sie verletzt und ohne warme Kleidung in die Kälte hinausgeworfen hatte.
Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Es war eisig kalt, und jetzt war sie zusätzlich zu all dem Blut auch noch vom Schneematsch durchnässt. Fröstelnd rappelte sie sich auf und blieb unsicher stehen. Zu ihrer Wohnung
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