Daughter of Smoke and Bone
Hübsche. So ein ungezogener Junge, mit all seinen Fragen. Ich frage mich, was er mit dir will.«
»Ich weiß es auch nicht.« Karou lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Izîl hat ihm doch hoffentlich nicht gesagt, wo ich wohne?«
»Aber nein – der edle Narr. Stattdessen hat er mit dem Himmel getanzt, und der Himmel hat ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.«
»O Gott.« Karou sank wieder gegen die Wand und schlang die Arme um sich. »Armer Izîl.«
»Armer Izîl. Bemitleide nicht ihn, bemitleide
mich
! Er ist frei, aber sieh mich an! Denkst du, es ist einfach, sich einen Träger zu beschaffen? Ich konnte noch nicht einmal einen Bettler austricksen.« Razgut stemmte sich hoch und benutzte seinen gesunden Arm, um seine Beine nach vorne zu ziehen. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz, doch als sich gerade ein ganz leichter Anflug von Mitleid in Karou regte, wich der Schmerz einem anzüglichen Grinsen.
»Aber du hilfst mir doch, oder, Süße?«, fragte er lächelnd. Seine Zähne waren perfekt, in groteskem Kontrast zum Rest seiner Erscheinung. »Darf ich auf dir reiten?« Er hätte einfach meinen können, dass er auf ihr reiten wollte wie auf Izîl, aber sein anzüglicher Ton legte eine andere Vermutung nahe. »Immerhin ist das alles deine Schuld.«
»
Meine
Schuld? Na klar …«, erwiderte sie sarkastisch.
»Ich verrate dir Geheimnisse, wie Izîl«, versuchte er sie zu locken.
»Ich werde dich nicht tragen!«, fuhr sie ihn an. »Niemals!«
»Oh, aber ich halte dich warm. Ich flechte deine Haare. Du wirst nie wieder einsam sein.«
Einsam?
Mit diesem einen Wort hatte die Kreatur Karous wunden Punkt getroffen, und Karou fühlte sich nackt unter dem wissenden Blick. Flüsternd fuhr Razgut fort: »So eine schöne Hülle, und darunter nur Einsamkeit. Denkst du, ich habe sie nicht geschmeckt? Du bist leer. Ein leeres Lutschbonbon, aber oh, du schmeckst
so
gut.« Er legte den Kopf in den Nacken und stöhnte bei der Erinnerung. Karou drehte sich der Magen um. »Ich könnte deinen Hals ewig lecken, meine Hübsche.
Ewig.
«
Egal, wie verzweifelt Karou sein mochte – dieses Angebot hätte sie niemals in Erwägung gezogen. Sie stieß sich von der Wand ab und wandte sich zum Gehen. »Netter Plausch. Auf Nimmerwiedersehen.«
»Warte!«, rief Razgut ihr nach. »Warte!«
Sie hätte nicht gedacht, dass er es schaffen würde, sie zurückzuhalten. Aber dann hörte sie es: »Du willst deinen Wunschhändler wiedersehen? Ich kann dich zu ihm bringen! Ich kenne ein Portal!«
Sie drehte sich um und sah ihn misstrauisch an.
Das anzügliche Grinsen war verschwunden, verdrängt von einer einzigen, alles andere überlagernden Empfindung. Es war eine Empfindung, die sie nur zu gut kannte, und für einen kurzen Augenblick fühlte sie eine Verbindung zu dem gebrochenen Wesen. Es war Sehnsucht. Wenn der Grundbestandteil ihres Lebens die Einsamkeit war, so war seiner die Sehnsucht.
»Das Portal, durch das sie mich vor tausend Jahren gestoßen haben. Ich weiß, wo es ist. Ich zeige es dir, aber du musst mich mitnehmen.« Zittrig holte er Luft und flüsterte: »Ich will nur nach Hause.«
Karous Herz summte vor Aufregung. Es gab noch ein Portal! »Dann lass uns gehen«, sagte sie. »Jetzt gleich.«
Razgut schnaufte. »Wenn es so einfach wäre, wäre ich dann wohl noch hier?«
»Was meinst du damit?«
»Es ist im Himmel, Mädchen. Wir müssen dorthin
fliegen
.«
Und jetzt, dank zwei schmieriger Gavriels aus dem Bart eines Jägers – einer für sie, einer für Razgut –, konnten sie sich endlich auf den Weg machen.
Unendliche Geduld
Eine Märchenstadt. Aus der Luft sah es aus, als würden die roten Dächer die Biegung des dunklen Flusses umarmen, und die Nacht tauchte die bewaldeten Hügel in schwarzes Nichts, aus dem die spitzen gotischen Türme des Schlosses hell erleuchtet aufragten. Der Fluss fing alle Lichter ein und ließ sie über seine Oberfläche tanzen, langgezogen und schwankend, und der vom Wind gepeitschte Regen verschleierte alles zu einem Traum.
Das war Akivas erster Eindruck von Prag; dieses Portal hatte nicht er markiert, sondern Hazael, der ihm später in ihrer eigenen Welt von der Stadt berichtet hatte. Er hatte gesagt, sie sei wunderschön, und das stimmte. Akiva stellte sich vor, dass Astrae in seinem goldenen Zeitalter so ähnlich ausgesehen haben könnte, damals, bevor die Bestien es zerstört hatten.
Stadt der hundert Turmspitzen
, so wurde die Hauptstadt der Seraphim genannt –
Weitere Kostenlose Bücher