Daughter of Smoke and Bone
immer wieder seine kalten Finger nach ihr aus und brachte sie zum Frösteln. Währenddessen tanzte Zuzana noch ein Dutzend Mal, mit jeder Vorstellung ein Stückchen selbstsicherer, und Miks Geigenkasten füllte sich wieder und wieder, bis ihre Einnahmen weit über den Betrag hinausgingen, den er ihr versprochen hatte.
Am Abend versuchten er und Zuzana, Karou zu überreden, mit ihnen essen zu gehen, aber sie lehnte das Angebot mit der Begründung ab, dass sie noch unter Jetlag litt, was zwar stimmte, aber nicht ausschlaggebend war.
Inzwischen war Karou ganz sicher, dass sie beobachtet wurde.
Ihre Fingerspitzen streiften über ihre Handflächen. Die Tattoos prickelten, und als sie die Brücke hinter sich ließ und sich durch das Straßenlabyrinth der Altstadt schlängelte, wusste sie, dass sie verfolgt wurde. Sie blieb stehen, ging in die Hocke und tat, als würde sie ihren Schuh zubinden, während sie ihr Messer hervorzog – ihr normales Messer, die Mondsicheln hatte sie in ihrer Wohnung gelassen – und es in den Ärmel schob.
Ein schneller Blick nach vorn und hinten ergab nichts, also ging sie vorsichtig weiter.
Als Karou das erste Mal in Prag gewesen war, hatte sie sich in diesen Straßen hoffnungslos verlaufen. Einmal wollte sie zu einer Kunstgalerie zurückgehen, an der sie gerade vorbeigekommen war, konnte sie aber nicht mehr finden. Es war, als hätte die Stadt sie verschluckt, und Karou hatte die Galerie auch später nie wiedergefunden. Die Gassen schienen ein trügerisches Netz zu bilden, das sich ständig verschob. Wasserspeier schienen sich davonzuschleichen und Steine sich völlig neu anzuordnen, wenn man gerade nicht hinsah. Prag zog unwissende Besucher an und ließ die Falle hinter ihnen zuschnappen, wie eine mythische Hexe, die Wanderer tief in den Wald lockt, bis sie sich hoffnungslos verirrt haben. Doch selbst wenn man hier vom Weg abkam, geriet man höchstens in ein harmloses kleines Abenteuer mit Marionettenläden und Absinth, und die einzigen Kreaturen, die einem auflauerten, waren Kaz und seine Kollegen in Vampirkostümen.
Normalerweise.
In dieser Nacht jedoch spürte Karou eine echte Gefahr, und mit jedem beherzten Schritt wünschte sie sich, ihr Verfolger würde sich endlich zeigen. Sie wollte kämpfen. Ihr Körper war angespannt wie eine Feder, und so, wie er ihr oft signalisierte, was er anderes tun wollte, wusste sie in diesem Moment ganz genau, dass sie in ihrem Phantomleben kämpfen würde.
»Komm schon«, flüsterte sie ihrem unsichtbaren Verfolger zu, zog den Kopf ein und beschleunigte ihre Schritte. »Mach dich auf eine Überraschung gefasst.«
Mittlerweile war Karou auf der Karlova, einer Fußgängerzone zwischen der Brücke und dem Altstädter Ring, wo die Touristenmassen selbst um diese Zeit noch sehr dicht waren. Sie schlängelte sich hindurch und sah sich dabei immer wieder um – inzwischen mehr, um die Illusion des verängstigten Mädchens aufrechtzuhalten, als in der tatsächlichen Hoffnung, einen Blick auf ihren Verfolger zu erhaschen. Schließlich kam sie links zu einer stillen Seitengasse und bog ab. Diesen Teil der Stadt kannte Karou gut. Kaz’ Touren führten oft hier entlang, und hier lagen viele seiner Verstecke. Direkt vor ihr bildete eine Biegung in der Mauer eines mittelalterlichen Zunfthauses eine Nische, wo sie schon mehrmals in ihrem Geisterkostüm gelauert hatte. Karou tauchte in die Schatten ein.
Und sah sich einem Vampir gegenüber.
»Hey«, rief eine schrille Stimme, und Karou taumelte überrascht zurück. »O Gott«, sagte die Stimme.
»Du!«
Der Vampir lehnte an der Mauer und verschränkte in einer Geste gelangweilter Überlegenheit die Arme.
Svetla. Karou biss die Zähne zusammen, als sie das andere Mädchen erkannte. Sie war groß und dünn wie ein Model, und auf eine strenge Art schön, die im Alter bestimmt gruselig aussehen würde. Ihr Gesicht war weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet, im Mund hatte sie ein Vampirgebiss, und an ihren rubinroten Lippen klebte genau die angemessene Menge Kunstblut. Kaz’ sexy Vampirin, mit schwarzem Cape und allem, was sonst dazugehörte, belegte lästigerweise Karous angestrebtes Versteck.
So was Dummes
, rügte Karou sich selbst. Um diese Zeit fanden die Touren statt. Natürlich drückten sich Kaz und die anderen Straßenschauspieler in den Verstecken herum. Wenn sie abends durch die Altstadt lief, amüsierte sie sich oft über die gelangweilten Geister, die an Hauswänden lehnten und SMS
Weitere Kostenlose Bücher