Daughter of Smoke and Bone
funktionstüchtigen linken Auge trug, um »romantischer« zu wirken, und hatte Zuzana versprochen, dass sie an einem Morgen ein paar tausend Kronen verdienen würde. Auch jetzt hatte er seine Augenklappe angelegt und sah irgendwie gleichzeitig wie ein Gauner und sehr nett aus.
»Gott, du bist so süß«, sagte er, das sehende Auge auf Zuzana gerichtet.
Normalerweise war
süß
kein Wort, das Zuzana schätzte. »Babys sind süß«, fauchte sie dann. Aber wenn es um Mik ging, war alles anders. Sie wurde rot.
»Du bringst mich auf falsche Gedanken«, sagte er und schlüpfte in den sowieso schon engen Raum, so dass Karou ans Innengerüst der Puppe gedrängt wurde. »Ist es seltsam, dass mich eine Marionette anmacht?«
»Ja«, antwortete Zuzana. »Total seltsam. Aber es erklärt, warum du in einem Marionettentheater arbeitest.«
»Aber es sind nicht alle Marionetten. Nur du.« Er schlang die Arme um ihre Taille. Sie kreischte.
»Vorsicht!«, rief Karou. »Ihr Make-up!«
Mik hörte nicht hin. Er drückte Zuzana einen innigen Kuss auf den gemalten Puppenmund und verschmierte das Rot des Lippenstifts mit dem Weiß ihrer Gesichtsschminke. Als er sich von ihr löste, waren seine eigenen Lippen so pink wie Rosenknospen. Lachend wischte Zuzana die Farbe weg. Karou überlegte, ob sie ihre Freundin nachschminken sollte, aber das Verschmierte passte perfekt zu ihrem derangierten Look, also ließ sie es bleiben.
Außerdem bewirkte der Kuss Wunder, was Zuzanas Nervosität anging. »Ich glaube, es ist Showtime«, verkündete sie strahlend.
»Dann mal los«, sagte Karou. »In die Spielzeugkiste mit dir.«
Und so fing es an.
Die Geschichte, die Zuzana mit ihrem Körper erzählte – eine ausrangierte Marionette, die zu einem letzten Tanz aus ihrer Kiste kam –, war zutiefst anrührend. Anfangs bewegte sie sich ungeschickt und unkoordiniert, als wäre sie eingerostet und erwachte langsam zum Leben. Einige Male brach sie in einer Tüllwolke zusammen, und Karou, die die Gesichter der Zuschauer beobachtete, sah, dass die meisten am liebsten zu der traurigen kleinen Tänzerin gelaufen wären, um ihr wieder auf die Füße zu helfen.
Über ihr ragte der Puppenspieler bedrohlich auf, und während Zuzana herumwirbelte, zuckten und hüpften seine Finger – als würde er sie kontrollieren und nicht andersherum. Die Mechanik arbeitete raffiniert und so unauffällig, dass die Illusion perfekt war. Als der Punkt kam, an dem die Puppe ihre Anmut wiederentdeckte, erhob sich Zuzana, wie von Fäden hochgezogen, auf die Fußspitzen und reckte sich mit freudestrahlendem Gesicht zum Himmel empor. Dazu spielte Mik auf der Geige eine herzzerreißend schöne Sonate von Smetana, und der Augenblick ging weit über das hinaus, was man vom Straßentheater erwartete, und berührte die Umstehenden in ihrem Innersten.
Karou spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und die Leere in ihrem Inneren wurde nahezu unerträglich.
Am Ende, als Zuzana in die Kiste zurückgedrängt wurde, warf sie dem Publikum einen Blick verzweifelter Sehnsucht zu und streckte flehentlich einen Arm aus, bevor sie sich dem Willen ihres Meisters unterwarf. Der Deckel der Kiste schlug über ihr zu, und die Musik endete abrupt.
Die Menge war begeistert. Miks Geigenkasten füllte sich schnell mit Scheinen und Münzen, und Zuzana verbeugte sich ein Dutzend Mal und posierte für Fotos, bevor sie zusammen mit Mik im Regenmantel des Puppenspielers verschwand. Karou hatte keine Zweifel, dass die beiden ihr Schminkwerk dort drinnen gerade völlig zerstörten, also setzte sie sich auf die Kiste und wartete.
Wie sie dort inmitten der Masse von Touristen hockte, spürte sie plötzlich, wie die Falschheit zurückgekrochen kam, langsam, aber sicher, wie der Schatten einer Wolke, die sich vor die Sonne schiebt.
Nicht gejagt, sondern mächtig
Du wirst als Gejagte leben, Kleine.
Bains Worte hallten in Karous Ohren wider, als sie sich umsah und die Gesichter um sich herum nach einem Anzeichen von Gefahr absuchte. Auf der Brücke fühlte sie sich völlig schutzlos, und ihr Blick wanderte über die Dächer auf beiden Uferseiten, weil in ihrer Phantasie plötzlich das Bild auftauchte, wie der Jäger sie durch das Visier eines Scharfschützengewehrs beobachtete.
Entschlossen schüttelte sie die Vorstellung ab. Das würde er nicht wagen, oder? Nach einem Moment ließ das Gefühl auch wieder nach, und sie sagte sich, dass es nur Paranoia gewesen war, doch im Verlauf des Tages streckte es
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