Daughter of Smoke and Bone
waren, in dem … na ja, in dem die Menschen fliegen konnten.
Und dann, als sie sich gerade an den Anblick des blauhaarigen Mädchens und des schwarzhaarigen Mannes gewöhnten, die wie eine ganz besondere Art Performancekünstler über ihren Köpfen schwebten, machte das Mädchen eine abrupte Bewegung. Der Mann sackte zusammen und verlor, von Zuckungen geschüttelt, immer mehr an Höhe und kämpfte offensichtlich darum, sich in der Luft zu halten.
Vergeblich. Sein Körper erschlaffte, sein Kopf fiel in den Nacken, und in einem Funkenregen, der an den Schweif eines Kometen erinnerte, stürzte er zu Boden.
Sternenlicht vor der Sonne
Es bereitete Karou eine geradezu teuflische Freude, dem Engel, der dachte, er könnte ihr so einfach entkommen, indem er sich in die Luft schwang, eine Überraschung zu bescheren. Falls er jedoch überrascht war, zeigte er es nicht. Sie stieg vor ihm in die Luft, und er sah sie an. Sah sie einfach nur an. Sein Blick war Hitze auf ihren Wangen, ihren Lippen. Er war eine Berührung. Seine Augen waren hypnotisierend, seine Brauen schwarz und samtig. Er war Kupfer und Schatten, Honig und Gefahr, strenge, hohe Wangenknochen und ein dolchspitzer Haaransatz. All das und dazu ein unsichtbares Feuer, und als Karou ihn nun konfrontierte, spürte sie das durchdringende Pulsieren von Blut und Magie und noch etwas anderem.
Etwas in ihrem Bauch: das Flattern geflügelter Wesen, die sich energisch aus ihren Kokons befreiten.
Sie errötete unwillkürlich. Warum mussten diese unverschämten Schmetterlinge sie gerade jetzt belästigen? Was war sie denn – eins dieser hysterischen Mädchen, die sofort in Ohnmacht fielen, wenn sie einen schönen Mann sahen?
»Schönheit«, hatte Brimstone gespottet. »Menschen können ihr einfach nicht widerstehen. Da sind sie so hilflos wie Motten, die sich in die Kerzenflamme stürzen.«
Karou würde sich nicht wie eine Motte benehmen. Während sie und der Engel sich umkreisten, erinnerte sie sich daran, dass er zwar im Moment nicht mit ihr kämpfen wollte, aber ihr Blut schon einmal vergossen hatte. Er hatte sie schwer verwundet. Und was noch schlimmer war, er hatte die Portale verbrannt und sie allein zurückgelassen.
Sie streifte die Wut über wie eine Rüstung und ging erneut auf ihn los, stürzte sich auf ihn, und für einen Moment konnte sie sich einbilden, dass sie ihm ebenbürtig war, dass sie eine Chance hatte, ihn … Ja, was? Ihn zu töten? Sie versuchte ja nicht einmal richtig, ihr Messer zu benutzen. Sie wollte ihn nicht umbringen.
Aber
was
wollte sie dann? Und was zur Hölle wollte
er
?
Plötzlich packte er ihre Hände und entwaffnete sie mit einer flüssigen Bewegung, die ihr ein für alle Male die Illusion raubte, dass sie diesen Kampf gewinnen könnte. Er presste ihre Handflächen zusammen, damit sie ihre Hamsas nicht gegen ihn einsetzen konnte – aus der Nähe sah sie, dass sein Nacken an der Stelle, wo sie ihn berührt hatte, weiß war –, und er war so stark, dass sie es nicht schaffte, sich aus seinem Griff zu befreien. Seine Hände waren warm und umschlossen ihre vollständig. Karous Magie war in ihren Handflächen gefangen, ein Tattoo heiß ans andere gedrückt, und ihr Messer war zu Boden gefallen. Sie saß in der Falle. Einen Moment geriet sie in Panik, als sie sich daran erinnerte, wie er in Marokko über ihr gestanden hatte, mit diesem völlig gefühllosen, toten Gesichtsausdruck. Aber jetzt war er nicht mehr gefühllos. Ganz im Gegenteil.
Er hätte jemand völlig anderes sein können, so emotionsgeladen war sein Blick. So voller Schmerz. Fieberschweiß glänzte auf seiner Stirn. Sein Gesicht zeigte den erschöpften Ausdruck durchlittener Qual, und er atmete schwer. Aber das war nicht alles. Er beugte sich zu Karou und sah sie eindringlich an, so unendlich eindringlich, als würden seine sengenden, weit geöffneten Augen etwas
suchen
.
Seine Berührung, seine Hitze, sein Blick überschwemmten sie, und auf einmal wusste sie, dass es keine Schmetterlinge waren, die sie spürte. Schmetterlinge – dieses kindische Bild, der naiven Phantasie eines jungen Mädchens entsprungen, passte nicht zu dem, was hier vorging.
Diese neue Empfindung, die zwischen ihr und diesem Mann entstand, war …
übernatürlich
. Eine Empfindung, durch die selbst die Luft sich veränderte und die gleichzeitig in ihr war: ein Warm-, ein Weichwerden, eine unwiderstehliche Anziehungskraft. In diesem Moment, in dem ihre Hände in seinen lagen, fühlte Karou
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