DavBen-StaderDie
Fahrer und seine Mannschaft verschwanden durch die Luke. Kurz darauf sprang der Motor wieder an, und das Ungetüm setzte sich ächzend in Bewegung, durchbrach das Eis, das sich an seinen Stahlketten gebildet hatte. Die Infanteristen schienen es nicht eilig zu haben, wieder aufzusitzen, aber nach einigen rauen Verabschiedungen, als die Offiziere schon brüllten und der Konvoi langsam anfuhr, zogen sie ein letztes Mal an ihren Zigaretten, schnippten sie weg und sprangen auf die Ladeflächen.
Der Gebirgsjäger, der mit der Botschaft zu Abendroth gegangen war, rannte zurück zu seiner Einheit. Als er uns sah, nickte er und lächelte. Sein Gesicht war rosig und unbehaart, die Wangen rund, und es war nicht schwer, ihn sich als kahles und greinendes Baby vorzustellen. Er rief uns etwas auf Deutsch zu, bevor er seinen bereits rollenden Lastwagen erreichte, die Hand ausstreckte und sich von seinen Kameraden auf die Ladefläche ziehen ließ.
»Heute Abend«, sagte Kolja.
Unsere Wachen hatten uns bereits angebrüllt, obwohl sie wussten, dass wir sie nicht verstanden, was sie aber nicht interessierte. Die Anweisung war trotzdem klar. Die Gefangenen stellten sich wieder in Reihen auf, Vika ging von uns weg, und wir warteten, bis uns der lange Konvoi passiert hatte. Als der Kommandeurswagen vorbeifuhr, versuchte ich Abendroth zu entdecken, aber die Scheiben waren mattiert.
Mir fiel etwas ein, was mir keine Ruhe ließ, und ich sah Kolja an.
»Was hast du als Zweites verlangt?«
»Hm?«
»Du hast gesagt, wenn ich gewinne, lässt er uns erstens frei. Und was hast du als Zweites verlangt?«
Er blickte auf mich herab, die Augenbrauen zusammengezogen, verstand nicht, dass ich nicht von selbst darauf kam.
»Das liegt doch auf der Hand. Ein Dutzend Eier natürlich.«
23
An dem Abend saßen wir zusammen mit den anderen Gefangenen in einem Schafstall knapp außerhalb von Krasnogwardejsk. Die Luft roch nach nasser Wolle und Dung. Die Deutschen hatten uns ein paar Zweige als Brennholz gegeben, und die meisten Männer drängten sich um ein armseliges Feuerchen mitten im Stall. Diesmal waren sie zu müde, um von Flucht zu sprechen. Sie beschwerten sich ohne großen Nachdruck, dass die Deutschen uns seit dem Zwieback am Morgen nichts zu essen gegeben hatten, stellten murmelnd Vermutungen über die Wetteraussichten für den nächsten Tag an, und bald darauf schliefen alle dicht an dicht auf der kalten Erde, um es warm zu haben. Vika, Kolja und ich saßen zitternd mit dem Rücken an der absplitternden Holzwand und diskutierten darüber, ob die Partie stattfinden würde.
»Wenn er uns holen lässt«, sagte Vika, »wenn sie uns zu ihm bringen, dann durchsuchen sie uns mit Sicherheit nach Waffen.«
»Sie haben die Gefangenen doch schon durchsucht. Die sind doch nicht so blöd zu glauben, wir hätten welche im Schafstall gefunden!«
»Der Mann weiß, dass er auf der Abschussliste steht. Er ist sehr vorsichtig. Die finden die Pistolen.«
Kolja antwortete mit einem klagenden Furz, so tief und feierlich wie ein einzelner Ton aus einem Baritonhorn. Vika schloss einige Sekunden lang die Augen und atmete durch den Mund. Ich studierte im Feuerschein ihre blassroten Wimpern.
»Ganz egal«, sagte sie, »die finden die Pistolen.«
»Sollen wir den Kerl vielleicht erwürgen?«
Sie griff in ihren Tarnanzug, zog das finnische Messer aus der Scheide an ihrem Gürtel und begann ein kleines Loch in den gefrorenen Boden zu graben. Als es tief genug war, legte sie ihre Pistole hinein und streckte die Hand nach Koljas Waffe aus.
»Die behalte ich.«
Sie wartete mit ausgestreckter Hand, und schließlich gab er sie ihr. Als beide Pistolen mit Erde bedeckt waren, knöpfte Vika ihren Tarnanzug auf und schnallte den Gürtel auf. Kolja stieß mich an. Der Anzug war ihr von den Schultern gerutscht; darunter trug sie das dicke Holzfällerhemd und zwei langärmelige Unterhemden, aber einen Moment lang sah ich, wie sich ihr Schlüsselbein unter der schmutzverkrusteten Haut bewegte. Ich hatte mich noch nie bewusst mit dem Schlüsselbein eines anderen Menschen beschäftigt; ihres sah aus wie die Flügel einer dahinschwebenden Möwe. Sie zog den Stoffgürtel ab, schob das Holzfällerhemd und die beiden Unterhemden bis zu den Brüsten hoch, hielt die Hemden mit dem Kinn fest und schnallte sich den Gürtel auf die nackte Haut. Die Messerscheide lag nun an ihrem Brustbein, und als sie die Unterhemden und das Holzfällerhemd herunterzog und den Tarnanzug wieder
Weitere Kostenlose Bücher