Dave Duncan
diese Ehre zuteil wurde. Wie schade, daß sie ihr abgetragenes braunes Wollkleid getragen hatte, dachte sie, dann aber schalt sie sich für derart unangemessene Eitelkeit.
Nichtsdestotrotz beschloß sie, auf ihr Zimmer zu gehen und sich umzuziehen. Wenn sie erst einmal ein wenig königlicher aussah und mehr wie eine Prinzessin, würde sie sich darum kümmern, die Probleme mit Tante Kade beizulegen und mit dem Mann, der offensichtlich kein Zauberer war. Und sie mußte Vater die Seide zeigen, die er ihr kaufen würde. Das und noch viel mehr, hatte der Gott gesagt? Wirklich merkwürdig!
Sie hatte einen Gott gesehen! Das würde beim Abendessen auf allgemeines Interesse stoßen.
Sie ging zu ihrem Zimmer, mit hocherhobenem Kopf, und fühlte sich erhaben. Ja, erhaben! Ihr war, als habe sie kein Gewicht mehr und müsse ihre Zehen strecken, um mit den Füßen den Boden zu berühren. Wenn ihr auf dem Weg jemand entgegenkam, so nahm sie es nicht wahr. Sie gelangte zur Treppe und begann, sie hinaufzuschweben…
Doch während sie sich nach oben kämpfte, veränderte sich ihre Stimmung, und sie schien soviel zu wiegen wie das ganze Schloß. Sie schleppte ihren wider willigen Kadaver die letzten Stufen hinauf und fand kaum die Kraft, die Tür zu öffnen. Sie taumelte hinein, und das erste, was sie sah, war sie selbst, im Spiegel, ihr Haar immer noch über und über mit Spinnweben verklebt und ihr Gesicht so weiß wie eine Möwe, gar mit den runden, hellen Augen einer Möwe.
Hinter ihrem Spiegelbild saß ihr Vater auf dem Bett und wartete auf sie. Sie sah, wie sich sein ungeduldiger Gesichtsausdruck sofort in Sorge verwandelte. Er sprang auf und streckte seine Arme nach ihr aus, und dann umarmte er sie fest und hielt ihren Kopf, als sie ihr Gesicht in seinem weichen Samtkragen verbarg und zu schluchzen begann.
Er hielt sie fest und setzte sie neben sich auf das Bett, hielt sie lange im Arm, während sie immer weiter schluchzte.
Und schluchzte.
Endlich fand sie ein leinenes Taschentuch ihrer Mutter und wischte sich über die schmerzenden Augen, putzte sich die Nase; und irgendwie gelang ihr sogar ein kleines Lächeln. Ihr Vater beobachtete sie mit besorgtem Stirnrunzeln. Er trug eine tiefblaue Robe und sah mit seinem kurzen braunen Bart sehr königlich aus – sehr tröstlich und beruhigend. Sein Samtkragen war voller Tränen und Spinnweben; sie wischte sie mit dem Taschentuch fort. Dumm und kindisch kam sie sich vor.
»Also!« sagte er. »Du hast lange nicht mehr so ausgiebig geweint, junge Dame. Was ist der Grund dafür?«
Wo sollte sie anfangen?
»Ich dachte, er sei ein Zauberer!«
»Sagorn?« Ihr Vater lächelte. »Nein! Er ist ein sehr gelehrter Mann, aber er ist kein Zauberer. Ich glaube nicht, daß es möglich wäre, einen Zauberer zu belauschen, meine Prinzessin.« Dann verschwand sein Lächeln. »Er lebt außerdem sehr zurückgezogen, Inos. Es gefällt ihm nicht, bespitzelt zu werden. Wieviel hast du gehört?«
»Du hast gesagt, du würdest mich nicht an Kalkor verheiraten. Oder an Angilki.« Sie schwieg und dachte sorgfältig nach. »Den Rest habe ich nicht verstanden, Vater. Tut mir leid.«
»Leid?« Er lachte trübselig. »Ist dir klar, daß du beinahe das Schloß niedergebrannt hast?«
»Nein! Wie könnte ich…, o nein! Die Teemaschine?«
»Die Teemaschine«, nickte er. »Das ekelhafte, stinkige, abscheuliche alte Ding, an dem deine Tante so hängt. Überall war Öl. Glücklicherweise war der junge Kel geistesgegenwärtig genug, einen Teppich über die Flammen zu werfen… Nun, mach das nicht nochmal! Und das ist alles? Soviel Tränen, weil du glaubtest, einem Zauberer begegnet zu sein?«
Sie wischte sich wieder über die Augen und mußte den wahnsinnigen Drang niederringen zu lachen. »Nein. Danach habe ich einen Gott getroffen.«
»Was? Ist das dein Ernst?«
Sie nickte und erzählte ihm alles. Er glaubte ihr und lauschte mit ernstem Gesicht. Dann starrte er auf den Boden und zerrte eine Zeitlang an seinem Bart; er sah besorgt aus.
»Nun, es überrascht mich nicht, daß du aus der Fassung geraten bist«, sagte er schließlich. »Es muß furchterregend sein, einen Gott zu treffen. Ich fürchte, das bedeutet Ärger. Wir müssen darüber mit Sagorn reden. Doch ich muß sagen, daß es mir um Mutter Unonini nicht leid tut.« Er blickte sie von der Seite her an und zwinkerte mit den Augen. »Ich kann die Frau auch nicht ausstehen! Aber erzähle niemandem, daß ich das gesagt habe!«
»Nicht?« Sie
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