Dave Duncan
Kälte nichts ausmachen.
Sie ging zum Kutscher vor, der das rechte Pferd des Leitgespanns tätschelte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Die Nordländer feiern das Winterfest beim nächsten Vollmond«, sagte sie leise. Es hatte sie viel Mühe gekostet, in Hub diese einfache Tatsache herauszufinden.
Er nickte und schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Logisch, oder? Drei Nächte noch.«
»Sie werden feiern?«
»Und trinken.«
»Rap… ich bin so dankbar. Falls ich irgend etwas –«
Das Lächeln gefror auf seinen Lippen. Geschäfte waren offensichtlich in Ordnung, aber persönliche Angelegenheiten nicht. »Denk nach, Inos!« sagte er mürrisch. »Hier beginnt eine Verpflichtung fürs Leben. Ein Königreich wird dich einnehmen und für immer an sich binden. Vielleicht hörst du niemals ein Wort des Dankes.«
»Werden die Menschen mich akzeptieren?«
Er betrachtete sie einen Moment lang. »Nach allem, was sie durchgemacht haben? Ich kann mit ein paar Tricks helfen. Aber willst du das?« »Ja. Es ist mein zweitgrößter Wunsch.«
Er warf ihr einen finsteren Blick zu und drehte ihr den Rücken zu, um mit dem Pferd zu sprechen.
Sie saßen zu viert in der großen Kutsche, die über die Avenue Agraine zur Großen Weststraße rumpelte. So in ihre Fellmäntel eingehüllt und mit heißen Steinen zu ihren Füßen waren sie eine sonderbare Gesellschaft.
Herzog Angilki war unverändert und lächelte schwach ins Nichts. Das tat er manchmal stundenlang, wobei er kaum sprach, es sei denn, er bat mit kindisch-monotoner Stimme um Essen oder fragte nach dem Badezimmer. Sagorn hatte nichts für ihn tun können, und so würde der Herzog den Rest seiner Tage als weiteres Denkmal des Bösen leben, das als Kalkor bekannt war.
Kade war ganz versunken. Aus den Tiefen ihrer Tasche hatte sie eine lange Schriftrolle hervorgeholt, die über und über mit einer zitterigen Schrift bedeckt war. Sie las konzentriert. Letzten Sommer hätte sie kein Wort davon lesen können, schon gar nicht in einer schaukelnden Kutsche.
Inos, die von den verschiedensten Gefühlen hin und hergerissen war, sah aus dem Fenster auf die prächtigen vorbeiziehenden Gebäude. Sie war nach Hub gekommen und hatte die Stadt erobert. Sie würde niemals zurückkehren. Das sonderbare Abenteuer ging seinem Ende zu – Kinvale, Zark, Thume, Ilrane, Hub und schließlich wieder Krasnegar. Der Schmetterling würde in seinen Kokon zurückkehren. Jetzt mußte sie sich ein neues Leben aufbauen, Wunden heilen und neue Freundschaften schließen oder alte wiederbeleben, und lernen, das einsame Leben einer Regentin zu führen. Jetzt, wo die Landstraßen vielleicht auf Jahre hinaus gesperrt waren, würde Krasnegars Los noch härter sein als je zuvor, und alle Probleme des winzigen Möchtegern-Königreiches würden auf ihren schmalen Schultern lasten. Sie würde sich noch nicht einmal an Kade anlehnen können.
Mit einem Zauberer wäre es jedoch möglich. Ohne ihn könnte nichts möglich sein.
Sie konnte es nicht ertragen, Rap in der Nähe zu wissen und ihn nicht zu lieben.
Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ohne ihn zu leben. Und ihre königliche Pflicht verlangte, daß sie einen Erben gebar.
»Ein anderer starker Bursche«, hatte er gesagt, aber er war der einzige starke Bursche, den sie haben wollte.
Auf die Liebe vertrauen? Waren diese Worte eine göttliche Warnung, wie sie lange geglaubt hatte, oder waren sie, wie Rap meinte, purer Spott?
Der vierte Passagier war Master Odlepare, der Sekretär des Herzogs. Er war ein steifer, verbitterter Mann, der langsam kahl wurde und vorzeitig gealtert war. Er hatte eine aufreizend gönnerhafte Art.
Kurz, nachdem die Kutsche den unheimlichen Roten Palast auf seinem Hügel passiert hatte, und lange bevor die interessante Architektur sich veränderte, war ihm das Schweigen langweilig geworden.
»Ich habe einige Thaliplättchen mitgebracht, meine Damen«, bemerkte er. »Hat jemand Lust auf ein Spiel?«
»Das ist nicht gerade mein Lieblingsspiel.« Inos dachte mit unerklärlicher Wehmut an die Oase Tall Cranes.
Er seufzte ekelhaft. »Nun, vielleicht ein anderes Mal. Wir haben ja noch viele Tage. Viele Wochen.«
»Wochen?« Kade schaute unschuldig auf. »Tage? Das glaube ich kaum. Master Rap«, fuhr sie fort, ohne ihre Stimme zu erheben, »es ist hier drinnen ein bißchen kalt. Würdet Ihr so freundlich sein, für ein wenig mehr Wärme zu sorgen?«
Sie bekam keine Antwort, doch die Fenster beschlugen.
Kade
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