Dave Duncan
könnte sie irgendwo hinter einem Schrank anbringen«, murmelte Rap, kratzte sich den Kopf und erkannte anscheinend zum ersten Mal, welche Monstrosität er da erschaffen hatte.
»Ich liebe sie!« beharrte Kade. »Jetzt, wo ich weiß, was sie kann, liebe ich sie einfach! Ich habe versuchsweise auf die Klinke gedrückt«, gestand sie schuldbewußt, »aber sie scheint auf der anderen Seite verriegelt zu sein.«
»Eigentlich ist sie nur eine Attrappe«, sagte Rap. »Es sei denn, Ihr sprecht das magische Wort. Das lautet >Holindarn<. Seid Ihr bereit, Eure Majestät?«
Es gab keinen Grund, sich jetzt Gedanken über das Gepäck zu machen. Inos schluckte die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder hinunter und sagte: »Eine Minute noch, Hofzauberer.« Sie knöpfte sich den Mantel zu.
»Ich werde bei dir sein«, sagte er leise. »Aber du willst wohl kaum mit einem Pferdedieb dort auftauchen, also wird mich niemand bemerken. Man wird sich an mich erinnern. Und zwar so.«
Als Inos von einem besonders widerspenstigen Knopf aufblickte, sah sie einen Soldaten. Von einem konischen Eisenhelm hingen Ohrenklappen herunter und umrahmten ein typisch impisches Gesicht – dunkelhäutig, pockennarbig und dicklich. Außer Fellen und Brustharnisch war nicht viel zu sehen. Er trug ein kurzes Schwert und wattierte, enganliegende Hosen. Und Stiefel. Nichts an ihm war auffällig, er war einfach ein Soldat, der winterlich gekleidet war. Sie erinnerte sich, Rap schon einmal ähnlich gekleidet gesehen zu haben, und damals hatte sie ihn noch nicht einmal mit seinem eigenen Gesicht erkannt.
Dann war er wieder er selbst. Er lächelte vorsichtig, trat zu ihr und schob einen mit Chintz bezogenen Stuhl zur Seite. »Also los, versuch es!«
Inos wandte sich für eine letzte Umarmung und einen letzten Kuß an Kade. »Falls ich morgen nachmittag nicht in irgendeinem Krieg kämpfe, werde ich auf einen Tee vorbeikommen und dir alles erzählen«, versprach sie, und sie war überrascht, wie rauh ihre Stimme klang.
»Das wäre wundervoll, Liebes. Falls du kannst.« Kade hielt sich einen Augenblick lang an Inos fest, und ihre himmelblauen Augen glänzten merkwürdig feucht. »Inos…« Sie biß sich auf die Lippen. »Ich werde in meinem Alter nicht mehr gefühlsduselig, aber… Ich möchte, daß du weißt, daß dein Vater jetzt sehr stolz auf dich wäre!«
Schluck! »Nun, warten wir ab und sehen, wie er sich morgen fühlen würde, in Ordnung?«
»Deinen Mut meine ich, Liebes. Was man versucht, ist immer viel wichtiger, als was man erreicht.«
»Meine Güte, Tante! Ich habe dich noch nie so moralisieren hören!«
»Das liegt daran, daß du dich immer geweigert hast, mir zuzuhören, Liebes. Aber ich meine es ernst! Das hätte bei deinem Vater Anklang gefunden: dein Pflichtgefühl und dein Mut.«
Hätte sie diesen Abschied noch weiter hinausgezögert, hätte das ganz offensichtlich nach Feigheit ausgesehen. »Und an seiner Schwester hätte er gewiß nichts zu bemängeln, oder an dem, was sie für mich und für Krasnegar getan hat. Jetzt muß ich mich wirklich beeilen, oder ich komme zu spät zum Massaker.«
Mit diesen Worten machte Inos sich aus der Umarmung frei und wandte sich eilig dem magischen Portal zu. »Holindarn!« rief sie aus. Die Tür erzitterte, rührte sich aber nicht.
»Hier, nimm ein wenig Muskeln hinzu!« Rap drückte mit dem Arm gegen die Tür. Dabei war er Inos näher als damals vor Wochen, als sie versucht hatte, ihm ihr Wort der Macht zu verraten. Da hatte sie seine Wange geküßt. Wenn sie jetzt ganz schnell ihren Kopf drehte, könnte es ihr dann erneut gelingen? Die Tür begann sich zu bewegen, und dahinter pfiff der Wind. Ein Schwall eisiger Luft wehte in Kades Wohnzimmer. Die Vorhänge blähten sich auf, Papiere flogen herum. Kohlen fielen durcheinander, und Rauch quoll aus dem Kamin. Kade schrie erschreckt auf.
»Verzeihung!« rief Rap über den Sturm hinweg. »Muß noch ein wenig daran arbeiten!« Er drückte stärker gegen das Portal, und die Öffnung wurde groß genug, daß Inos in die eisige Dunkelheit hindurch schlüpfen konnte.
Hinter ihr schlug die Tür zu. Sie hatte nicht gehört, ob Rap ihr folgte. Sie hatte vergessen, wie intensiv kalte Luft sein konnte, wie Eiswasser auf ihrem Gesicht.
»Oha! Licht?«
Schließlich gewöhnten sich ihre Augen an die Beleuchtung, und sie sah den Mond hinter einem Fenster zu ihrer Rechten, und ein schwächer beleuchtetes Fenster direkt vor ihr.
»Erkennst du es wieder?«
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