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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Zusammenhang mit der Bombardierung zur Folge. Sie kann einen »Schock« bewirken, einen Zustand, der von Betäubung bis zu Schreckhaftigkeit reicht und eine unablässige Beschäftigung mit dem erlebten Grauen zur Folge haben kann. «
    Und schließlich sind da noch die Überlebenden: die Menschen, die von den Sirenen aufgeschreckt werden, die Bomber am Himmel sehen und die Explosionen hören. Doch die Bomben schlagen ein paar Häuser oder Straßen weiter ein. Für sie bedeutet der Angriff das genaue Gegenteil wie für die Traumatisierten. Sie haben überlebt, und wenn sie diese Erfahrung zwei- oder dreimal gemacht haben, geht mit dem Angriff »ein Gefühl der Euphorie und Unverwundbarkeit« einher, wieMacCurdy schrieb. Wer knapp mit dem Leben davonkommt, lebt mit dem Schrecken weiter. Die übrigen Überlebenden haben das Gefühl, unbesiegbar zu sein.
    In Tagebüchern und Erinnerungen von Londonern, die den »Blitz« erlebten, taucht dieses Phänomen immer wieder auf. Zum Beispiel hier:
    » Als die Sirenen losheulten, ging ich mit meinen Kindern in das Erdloch im Garten. Ich war mir sicher, dass wir sterben würden. Dann kam die Entwarnung, und nichts war passiert. Seit dem Moment, in dem wir heil aus dem Erdloch gekommen sind, habe ich das Gefühl, dass uns nichts zustoßen kann. « 61
    Oder in diesem Eintrag aus dem Tagebuch einer jungen Frau, deren Haus unter einer Explosion in der Nachbarschaft erbebte:
    » Ich lag am Boden mit einem unbeschreiblichen Gefühl des Glücks und des Triumphs. »Ich bin bombardiert worden!«, sagte ich mir immer wieder und probierte den Satz aus wie ein neues Kleid, um zu sehen, wie er mir stand. »Ich bin bombardiert worden! »Ich bin bombardiert worden! Ich!«
    Es ist natürlich schrecklich, so etwas zu sagen, wo doch letzte Nacht so viele Menschen getötet und verwundet wurden. Aber ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie ein derart reines und unverfälschtes Glücksgefühl erlebt. « 62
    Warum also ließ der Blitz die Londoner derart unberührt? Weil es bei 40   000   Toten und 46   000   Verletzten, hochgerechnet auf 8   Millionen Einwohner des gesamten Stadtgebiets, deutlich mehr Überlebende gab, die aus der Erfahrung gestärkt hervorgingen, als Traumatisierte, die mit dem Schrecken weiterlebten.
    Auf dem Höhepunkt der Bombardierungen wurde ein Arbeiter einer Knopffabrik gefragt, ob er sich aufs Land evakuieren lassen wollte. Er war zweimal ausgebombt worden, doch ihm und seiner Frau war beide Male nichts passiert. Er weigerte sich: »Wie? Das soll ich mir entgehen lassen?«, rief er aus. »Nicht um alles Gold in China! Sowas hat’s doch noch nie gegeben! Noch nie! Und es wird auch nie wieder kommen!« 63
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    Vielleicht sind nicht alle Schwierigkeiten schlecht, vielleicht könnten einige tatsächlich wünschenswert sein. Eine Leseschwäche ist eine echte Hürde, es sei denn, Sie sind jemand wie David Boies und werden dank dieser Hürde zu einem guten Zuhörer, oder Sie sind jemand wie Gary Cohn und die Hürde verleiht Ihnen den Mut, Risiken einzugehen, die Sie andernfalls wohl nicht eingehen würden.
    MacCurdys Unterscheidung zwischen Traumatisierten und Überlebenden lässt uns diesen Gedanken noch weiter spinnen. Winston Churchill und die britische Militärführung sahen einem deutschen Angriff auf London deshalb mit solcher Sorge entgegen, weil sie annahmen, dass die Bombardierung alle Bürger der Stadt gleichermaßen betreffen würde und dass die Überlebenden kaum weniger unter Schock stehen würden als die Traumatisierten.
    Doch nach Ansicht von MacCurdy bewies der »Blitz«, dass schreckliche Erfahrungen zwei ganz unterschiedliche Reaktionen bewirken können. Dasselbe Ereignis kann die einen bis in ihre Grundfesten erschüttern, während sich die anderen danach sogar besser fühlen. Denn der Arbeiter aus der Knopffabrik, der zweimal ausgebombt wurde, und die junge Frau, deren Haus unter dem Angriff erbebte, wurden durch ihre Erfahrung gestärkt. Sie konnten zwar nichts an der Tatsache ändern, dass um sie herum Krieg herrschte. Doch sie hatten die Angst abgelegt, die ein Leben im Krieg unerträglich machen kann.
    Legathenie ist ein klassisches Beispiel für ein ganz ähnliches Phänomen. Vielen Betroffenen gelingt es nicht, ihre Behinderung zu kompensieren. Nicht umsonst sitzt ein überproportional großer Anteil vonLegasthenikern im Gefängnis. Diese Menschen unterlagen in ihrem dauernden Kampf mit einfachsten schulischen Aufgaben. Bei Menschen wie Gary Cohn und

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