Davina
Spekulationen darüber anstellen, welche Fortschritte sie machte. Es war unmöglich, irgend etwas Konkretes herauszubekommen. So freute er sich auf New York. Der Lebensstil in den Vereinigten Staaten sagte ihm zu; er regte ihn an, und außerdem hatte er während seines Studiums in Harvard viele Freunde drüben gewonnen. Ehrgeiz war Familieneigenschaft. Sein Vater leitete eine angesehene Maklerfirma in der City, die Beamtenkarriere seines Onkels war ebenso erfolgreich verlaufen. Und er, Jeremy, der noch einen jüngeren Bruder und eine Schwester in Cambridge hatte, war von allen der vielversprechendste. Er hatte sich nie geschont. Der junge Mann im Badezimmerspiegel, der sich gerade Zahnpasta auf eine Zahnbürste strich, war das Ergebnis gnadenloser Selbstdisziplin und des geradezu dämonischen Dranges, vorwärtszukommen. Er verbarg den weniger anziehenden Teil seines Charakters unter makellosen Manieren und einem jugendlichen Charme, der besonders bei älteren Frauen gut ankam. Aber er wurde von Ehrgeiz und von dem übersteigerten Drang, etwas Besonderes zu leisten, vorwärtsgetrieben. Schon als Kind machten ihm nur solche Dinge Spaß, die sonst keiner zustande brachte. Beim Bergsteigen im Penninischen Gebirge wäre er einmal beinahe tödlich abgestürzt. Das Seil hielt und damit auch das Glück der Spencer-Barrs. Als er das nächste Mal die gleiche Klettertour unternahm, erreichte er den Gipfel in Rekordzeit. Er behauptete von sich, keine Nerven zu haben; das stimmte nicht ganz. Er hatte ein fein eingestimmtes, hochsensibles Nervensystem, das seinen Intellekt mit dem erforderlichen Einfallsreichtum speiste, aber er blieb stets Herr seiner selbst.
Aus diesem Grunde hatte er sich Brigadier Whites Abteilung zum Betätigungsfeld erwählt. Man brauchte besondere Fähigkeiten, um ein erfolgreicher Nachrichtenmann zu werden. Er bespöttelte das Wort ›Gegenspionage‹, weil er es viel zu dramatisch fand. Der Geheimdienst war jetzt eine Wissenschaft, in der sich moderne Technik mit menschlicher Intelligenz verband. Die Welt und die Kräfte, die das Schicksal der Völker entscheidend beeinflussten, waren ein aus miteinander verzahnten Teilstücken bestehendes, riesiges Zusammensetzspiel, bei dem jedes Teilchen für sich bereits ein Puzzle war, wo sich die Form jedes Einzelteils plötzlich ändern konnte, gerade wenn es in das Gesamtbild hineinzupassen schien. Er war fertig mit dem Zähneputzen, nahm einen Mundvoll Wasser und spuckte die schaumige Flüssigkeit aus. Mary Walker leitete eine Kunstgalerie in London; sie hatten sich bei einer Ausstellung kennen gelernt, und sie hatte sich sofort in ihn verliebt. Er hatte sie wirklich sehr gern. Sie war ein gescheites Mädchen mit ausgesprochenem Geschäftssinn, und sie sagte ihm ständig, wie großartig er sei. Und sie hatte seine sexuellen Fähigkeiten verbessert. Jeremy war in allen Bereichen gut, nur nicht im Bett. Sein Temperament war zu angespannt, und er lenkte seine Energien in zu viele Kanäle, so daß sein Liebesleben dabei zu kurz kam. Er war ein schlechter Liebhaber und er hatte, bevor er Mary begegnete, engere Beziehungen zu Frauen vermieden. Sie schadeten seinem Ego, denn sie führten ihm einen Mangel vor Augen, den er nicht beheben konnte. Sie war drei Jahre jünger als er, hatte sich scheiden lassen, als sie Anfang Zwanzig war, und sie besaß die Fähigkeit und die Geduld, ihnen beiden zu einem befriedigenden Liebesleben zu verhelfen. Er hätte sie vielleicht geheiratet, dachte er plötzlich, wenn man ihm nicht gesagt hätte, daß sich eine Ehefrau in diesem Stadium seiner Karriere als Hemmnis erweisen könnte. So hatte er ihr gesagt, er werde nach New York gehen und vermutlich zwei Jahre dort zubringen. Er war gerührt und geschmeichelt, als sie weinte. Er beschloß, ihr ein hübsches Schmuckstück zu kaufen – etwas, das sie an ihn erinnern sollte, wenn sie es trug. Er ging ins Schlafzimmer zurück. Sie wachte auf, schob die Bettdecke beiseite und legte zum Schutz gegen das Tageslicht einen Arm über die Augen. Sie hatten nur noch vierzehn Tage, bis er seinen Posten in Amerika antreten mußte. Er wollte das Beste aus dieser Frist machen.
»Es ist zehn Uhr«, sagte er, »ich bringe dir eine Tasse Kaffee.«
»Vielen Dank, Liebling.«
Sie sah ihm lächelnd nach, als er das Zimmer verließ. Sie konnte hören, wie er Wasser in den Kessel laufen ließ, denn die Küche lag dicht neben dem Schlafzimmer. Er erwies ihr kleine Aufmerksamkeiten, wie zum Beispiel, daß
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