Davina
warum einige ihrer Freundinnen so gern allein waren. Aber sie hatten Ehemänner, die hin und wieder auf Geschäftsreisen gingen, und wahrscheinlich war es ganz angenehm, einmal allein zu sein, wenn man die ganze Zeit mit jemandem zusammenleben mußte. Sie war mit keinem Mann liiert, und sie hasste die Abende, an denen sie keine Gesellschaft hatte. Sie freute sich nicht einmal über die Gelegenheit, zu lesen oder sich die Haare zu waschen oder früh ins Bett zu gehen oder fernzusehen. Sie blätterte in ihrem Adressenverzeichnis, um sich jemanden auszusuchen, den sie anrufen könnte.
Brigadier White lehnte sich in seinen Sessel zurück und hörte Humphrey Grant zu. Er bewunderte dessen knappe Ausdrucksweise und die Schnelligkeit, mit der er auf den Kern der Sache zu sprechen kam. Außerdem beobachtete er sehr sorgfältig den Gesichtsausdruck der anderen drei Personen, die noch im Zimmer saßen. Zunächst Davina Graham. Völlig konzentriert und ganz bei der Sache. Blaß und innerlich angespannt. Das Gespräch mit Sasonow mußte schmerzlich für sie gewesen sein. Er war unterwegs nach Hampshire zu einer neuen Unterkunft, wo die geschulten Befrager unter Grants Leitung beginnen würden, sein Wissen auszuschöpfen. Die Verbindung zu Davina war jetzt abgebrochen. Ohne sie war es vielleicht weniger schwierig, mit ihm umzugehen. Zu der Befragergruppe gehörte ein Mann, den man speziell dafür ausgesucht hatte, ein persönliches Verhältnis mit dem Russen herzustellen. Grant war dazu viel zu kühl und humorlos … Davina tat ihm leid. Sie war die Frau, bei der er am wenigsten daran gedacht hätte, daß sie alles für einen Mann über den Haufen werfen würde. Aber so waren die Frauen nun mal. Wie alle ihre Geschlechtsgenossinnen hatte auch Davina Graham ihren besonderen X-Faktor. Den empfindlichen Punkt für den richtigen Mann. Oder, wie in diesem Fall, für den falschen. Er verstand ihr Bedürfnis, diesen Auftrag in der Sowjetunion durchzuführen, vielleicht besser als sie selbst. Ihr Eifer war geradezu rührend, sie hing Grant förmlich an den Lippen. Irgendwie paßte diese Einstellung in die Planung des Brigadiers. Dann war da Peter Harrington. Ordentlich, nüchtern, nur gelegentlich einen seiner Witze machend, die immer fehl am Platze waren. Auch er hörte Grant aufmerksam zu, wenn auch nicht so völlig selbstvergessen wie Davina. Er warf zwischendurch einen Blick auf Spencer-Barr, um dessen Reaktion zu sehen, und dann auch auf den Brigadier. Ein Mann, dem eine neue Chance geboten wurde. Ein Mitarbeiter, der früher einmal als Agent gute Leistungen gezeigt hatte, dann aber in Washington auf die schiefe Bahn geraten war, bis man in der Zentrale nicht mehr viel von ihm gehalten und ihn abberufen hatte. Ein Mann, der das Mitgefühl und das Vertrauen der Frau gewonnen hatte.
Und dann der jüngere Mann, Jeremy Spencer-Barr. Bei ihm schien alles in Ordnung zu sein. Er hatte einen Onkel im Finanzministerium und die Empfehlung durch einen Kabinettsminister. Eine erstaunliche akademische Karriere und eine Persönlichkeit wie ein gut geschliffener Diamant. Glatt, hart und brillant. Ein hungriger Typ, dachte der Brigadier. Erfolgshungrig. Er hatte wenig Freunde im Dienst. Seine Kollegen hielten ihn für gescheit und ehrgeizig, aber er war bei keinem beliebt. Kalt wie ein Fisch, ohne jegliches Gefühl für andere. Er konzentrierte sich auf Grants Vortrag – wie ein Kurzstreckenläufer auf der Startlinie. Sein Lehrer im Sprachzentrum hatte sein Russisch als bemerkenswert bezeichnet. Dieser Auftrag war seine große Chance – eine Gelegenheit, die Angehörigen seines Berufs nur ein- oder zweimal im Lauf ihrer Karriere geboten wurde. Für Spencer-Barr eröffnete sich diese Möglichkeit schon sehr früh. Über seine beiden Kollegen schien er nicht besonders glücklich zu sein. Auf seinem Gesicht stand unverhohlene Ablehnung, wenn er Harrington ansah. Seine Einstellung zu Davina Graham war vorsichtige Neutralität. Die Aussicht, mit diesen beiden zusammenarbeiten zu müssen, schien ihm wenig zu gefallen. Der Brigadier lehnte sich zurück und wußte nicht recht, warum das so war. Inzwischen hörte er, wie die anderen, Humphrey Grants Ausführungen zu.
Der bis jetzt festgelegte Plan war verhältnismäßig einfach. Davina und Peter Harrington sollten als Westdeutsche in die DDR einreisen. Bei der Ankunft in Ostberlin sollten sie verschwinden und als ostdeutsches Ehepaar wieder auftauchen. Das war eine praktische Methode, Agenten
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