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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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könnten, und dann auch, damit sie die dringend benötigten Wohnräume in Münster freimachten. Richtig, richtig, lautet wiederholt die Zustimmung der Umstehenden, als sie davon hören, dass auf solche Weise auch der Wohnungsnot entgegengearbeitet werden soll. […] Zwei, die mit mir heimgehen, munkeln davon, dass wahrscheinlich die Juden in der nächsten Woche allesamt nach dem Osten abtransportiert würden. – Auch zu Hause unter der Petroleumlampe begegnet mir das Gerücht. Auch die Frauen scheinen in der Stadt für die Gerüchte vom Abtransport der Juden lebhaft interessiert zu sein. Nur wenige hätten geäußert, dass sie die Juden bedauerten, denn die Juden seien die Kriegsschürer.« 145
    Die SD-Außenstelle Minden berichtete Anfang November 1941: »Die inzwischen zur Tatsache gewordene Evakuierung der Juden aus dem hiesigen Bereich wird in einem großen Teil der Bevölkerung mit großer Besorgnis aufgenommen. Dabei sind es zwei Gesichtspunkte, die den Leuten am meisten am Herzen liegen. Einmal vermuten sie, dass dadurch den vielen Deutschen im noch neutralen Ausland, besonders in Amerika, wieder neues Leid zugefügt werden könnte. Man weist dabei wieder auf den 9. Nov. 1938, der uns auch im ganzen Auslande mehr geschadet hat, als er uns hier im Inland genutzt hat.
    Der zweite Punkt ist der, dass es doch wohl sehr bedenklich sei, jetzt im Winter mit allen seinen Gefahren die Leute ausgerechnet nach dem Osten zu verfrachten. Es könnte doch damit gerechnet werden, dass sehr viele Juden den Transport nicht überständen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die jetzt evakuierten Juden doch durchweg Leute wären, die seit ewigen Jahren in hiesiger Gegend gewohnt hätten. Man ist der Ansicht, dass für viele Juden diese Entscheidung zu hart sei. Wenn auch diese Meinung nicht in verstärktem Maße festzustellen ist, so findet man sie aber doch in einem großen Teil gerade unter den gutsituierten Kreisen. Hierbei sind auch wieder die älteren Leute die überwiegende Anzahl.
    Seitens der Volksgenossen, die die Judenfrage beherrschen, wird die ganze Aktion jedoch absolut bejaht. Man stellt dem gegenüber das deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich doch immer wieder gezeigt habe. Als der Führer gemerkt habe, dass den Deutschen in Russland eine Gefahr drohte, sei er sofort dazu übergegangen, diese alle ins Reich zurückzuholen. Der Jude hätte ja ein gleiches seit 1933 auch tun können, dann wäre diese Aktion heute nicht mehr erforderlich.« 146
    Der nächste Bericht der SD-Außenstelle Minden, sechs Tage später verfasst, zeigt, dass in der Bevölkerung detaillierte Informationen über die Deportationen kursierten: »Das Besitztum verfalle dem Staat. Es wird sich erzählt [sic!], dass die Juden alle nach Russland abgeschoben würden, der Transport würde durchgeführt bis Warschau in Personenwagen und von dort mit Viehwagen der Deutschen Reichsbahn. Der Führer wolle bis zum 15.1.1942 die Meldung haben, dass sich kein Jude innerhalb der Deutschen Reichsgrenze aufhalte. In Russland würden die Juden zur Arbeit in ehemals sowjetischen Fabriken herangezogen, während die älteren und kranken Juden erschossen werden sollten. Durch diese Redereien wird tatsächlich die Mitleidsdrüse verschiedener christlich Eingestellter stark in Tätigkeit gebracht. Es wäre nicht zu verstehen, dass man mit Menschen so brutal umgehen könne, ob Jude oder Arier, alle wären letztlich doch von Gott geschaffene Menschen. Man sieht verschiedentlich Juden mit Haushaltsgegenständen beladen durch die Straßen ziehen. Von irgendwelcher Gedrücktheit ist keine Spur zu erkennen.
    Viel wird in der Bevölkerung davon gesprochen, dass alle Deutschen in Amerika zum Zwecke ihrer Erkenntlichkeit ein Hakenkreuz auf der linken Brustseite tragen müssen, nach dem Vorbild, wie hier in Deutschland die Juden gekennzeichnet sind. Die Deutschen in Amerika müssten dafür schwer büßen, dass die Juden in Deutschland so schlecht behandelt werden.« 147
    Die vorgesetzte Dienststelle des Mindener SD-Büros, die SD-Hauptaußenstelle Bielefeld, übernahm diesen detaillierten Bericht in ihre vierzehntägig erfolgende Zusammenstellung von Meldungen, schaltete ihm jedoch einen »freundlicheren« Bericht aus Bielefeld vor (wo die Juden aus dem gesamten Regierungsbezirk in einem Sammellager festgehalten wurden) und stellte – deutlicher, als dies die Mindener SD-Leute getan hatten – die Bedenken gegen die Deportationen als das Gerede konfessionell

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