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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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gebundener Bevölkerungskreise hin, das nicht besonders ernst zu nehmen sei: 148
    »Obwohl diese Aktion von Seiten der Staatspolizei geheim gehalten wurde, hatte sich die Tatsache der Verschickung von Juden doch in allen Bevölkerungskreisen herumgesprochen […] Es muss festgestellt werden, dass die Aktion vom weitaus größten Teil der Bevölkerung begrüßt wurde. Einzeläußerungen war zu entnehmen, dass man den Führer Dank wisse, dass er uns von der Pest des jüdischen Blutes befreie. Ein Arbeiter äußerte z.B.: ›Das hätte man vor 50 Jahren mit den Juden machen sollen, dann hätte man weder einen Weltkrieg noch den jetzigen Krieg durchstehen brauchen.« Erstaunen zeigte man vielfach in der Bevölkerung, dass man den Juden zum Transport nach dem Bahnhof die gut eingerichteten städtischen Verkehrsautobusse zur Verfügung stellte.«
    »Lediglich aus konfessionellen Kreisen«, so fuhr der Bericht fort, »wurden, wie bei allen staatlichen Aktionen zur Gewohnheit geworden, ablehnende Stimmen laut. Ja, man ging sogar so weit, diese Aktion zu benutzen, wildeste Gerüchte zu verbreiten.« Nun folgten die Informationen der Mindener Dienststelle, wobei die Gerüchte über die negativen Auswirkungen der Judenverfolgung auf die Deutschen in Amerika wiederum gezielt »konfessionellen Kreisen« zugeschrieben wurden, was man dem Mindener Bericht nicht entnehmen konnte. Die Tendenz der regionalen Berichtsebene, das relativ brisante Informationsmaterial der lokalen Ebene zu entschärfen, ist unübersehbar.
    Neben diesen offiziellen Berichten verfügen wir auch über andere Quellen, die deutlich machen, dass die Deportationen keineswegs geheim vor sich gingen – nicht in den Großstädten, wo die meisten Juden wohnten, nicht in den zahlreichen Kleinstädten und auch nicht auf dem Land, wo es meist ältere, alteingesessene jüdische Bürger traf. 149
    Verschiedene Augenzeugenberichte, die David Bankier zusammengetragen hat, bestätigen, dass die Deportationen tatsächlich »vor aller Augen« vor sich gingen. 150 Hilde Miekley hat die Deportation von jüdischen Freunden aus Berlin im Sommer 1942 151 geschildert, die in Marburg lebende Schriftstellerin Lisa de Boor hielt im Dezember 1941 in ihrem Tagebuch fest: »In ganz Deutschland werden jetzt Juden nach Polen abtransportiert. Wir wissen von furchtbaren Einzelschicksalen innerhalb dieses schauerlichen Karmas eines Volkes, dessen Los seit Jahrtausenden Verfolgung heißt. Die späteren Auswirkungen dieser Verfolgung sind gar nicht auszudenken.« 152
    Freiherr von Hoverbeck, der nach der Beendigung seiner Offizierskarriere im Jahre 1920 zum engagierten Pazifisten geworden war, notierte im Juli 1942 in einem Brief: »Ich habe aus verschiedenen zuverlässigen Quellen gehört, dass dieser Tage alle nicht mehr arbeitsfähigen alten Juden aus Hamburg und, soweit es noch nicht geschehen ist, aus ganz Deutschland nach Polen abtransportiert werden.« Die Transporte gingen in Viehwagen vor sich. 153 Der ehemalige Deutschland-Korrespondent Howard K. Smith schilderte in seinem 1942 in den USA veröffentlichten Buch ebenfalls die ersten Deportationen aus Deutschland; die Menschen würden nach Polen und in die besetzten sowjetischen Gebiete verschleppt, um dort an Hunger und Entbehrung umzukommen. 154
    Ein anderes Beispiel, diesmal von einem Anhänger des Regimes, verdeutlicht, dass auch die späteren Deportationen keineswegs insgeheim abliefen: Der für das SS-Organ Das Schwarze Korps arbeitende Redakteur von Alvensleben wandte sich im März 1943 an den Leiter des Persönlichen Stabes beim Reichsführer SS, Rudolf Brandt, um ihm eine wichtige Beobachtung mitzuteilen, die er für »entwürdigend und beschämend zugleich« hielt. Die Sammelstelle für diejenigen Juden, die aus Berlin deportiert werden sollten, befinde sich in direkter Nachbarschaft zu den Gebäuden des parteieigenen Eher-Verlages, mitten im Berliner Zeitungsviertel. Beim Besteigen der Lastwagen, so von Alvensleben, würden die Juden auf brutalste Weise von Angehörigen der Gestapo und SS geschlagen; dies geschehe unter den Augen der Angestellten des Eher-Verlages, die diese Vorgänge von allen Fenstern und Türen der umliegenden Gebäude aus beobachteten. 155
    Ferner existieren aus zahlreichen Orten Fotos, die den Abtransport der Juden – am hellichten Tag im Beisein der Bevölkerung – dokumentieren. 156 Auch die zahlreichen, lebhaft besuchten Auktionen in vielen Städten und Gemeinden, in denen das Mobiliar und der

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