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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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anderen Ansprachen Hitlers aus dieser Zeit finden sich ähnlich massive Bedrohungen der Juden. 7
    Das Zentralorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter , griff am 27. Februar 1942 die in Hitlers Botschaft zur Parteigründungsfeier erstmals gebrauchte Formulierung von der »Ausrottung« der Juden sofort auf, um sie in unmissverständlicher Form zu unterstreichen. Schon der Titel des Beitrags macht dies deutlich: »Der Jude wird ausgerottet werden!« Eingeleitet wird der ausführliche Artikel mit einem Zitat aus Hitlers Botschaft, es werde »meine Prophezeiung […] ihre Erfüllung finden, dass durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet werden wird«. Es folgten verschiedene Zitate, die die Absicht »der Juden« beweisen sollten, das deutsche Volk zu vernichten. Die »ewigen Mörder des Weltfriedens«, so der Schlusssatz des Artikels, müssten erkennen, »mit welcher Energie und mit welcher Leidenschaft wir an die Beantwortung der jüdischen Kampfansage herangehen, die von den Plutokratien zu ihrer eigenen gemacht worden ist!«
    Die Parole von der »Vernichtung« der Juden machten sich auch andere nationalsozialistische Politiker zu Eigen. Die Münchner Neuesten Nachrichten berichteten etwa am 16. März 1942 über eine Rede des Münchner Gauleiters Adolf Wagner, der auf einer Arbeitstagung des Rassenpolitischen Amtes unter anderem gesagt hatte: »Wir vernichten den Juden und befreien damit die zivilisierte Menschheit vom Teufel. […] Die Auseinandersetzung mit den angelsächsischen Mächten und dem Bolschewismus ist der Auftakt für die endgültige Abrechnung mit dem Juden in all seinen Lebensäußerungen.«
    Allerdings wäre es vollkommen verfehlt, davon auszugehen, Hitlers oftmals wiederholte Prophezeiung und andere Vernichtungsdrohungen hätten so etwas wie den Kern einer breit angelegten, den Massenmord an den Juden kontinuierlich begleitenden Propagandakampagne dargestellt. Das Gegenteil ist richtig: Die wiederholte Drohung der »Ausrottung« erfolgte in einem propagandistischen Umfeld, das weitgehend durch konsequentes Schweigen des Regimes über sein weiteres Vorgehen in der »Judenfrage« bestimmt war. Dementsprechend trat – ganz im Gegensatz zur zweiten Jahreshälfte 1941 – das antijüdische Motiv 1942 in der deutschen Propaganda in den Hintergrund. In dem Jahr, in dem die systematische Deportation der Juden Europas in die Vernichtungslager begann und in dem der Holocaust mehr als die Hälfte seiner Opfer forderte, spielte die »Judenfrage« in der deutschen Propaganda bemerkenswerterweise nur eine untergeordnete Rolle.
    Insbesondere war die Propaganda bemüht, das Wie der angekündigten »Ausrottung« offen zu lassen, also keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Drohung und der Verfolgungspraxis herzustellen: Die Deportationen aus dem Reichsgebiet fanden in der Propaganda nach wie vor nicht statt, und man vermied generell irgendwelche konkrete Aussagen über das Schicksal der Juden. Reportagen über die Situation in den Ghettos oder über Polizeiaktionen gegen Juden in den besetzten Gebieten, die in den Jahren zuvor immer wieder in der Presse erschienen waren, sucht man nun vergebens.
    Wie sehr die für die Propaganda Verantwortlichen davor zurückschreckten, konkrete Einzelheiten ihrer »Judenpolitik« zu enthüllen, macht folgende Episode deutlich: Als der Reichsjugendführer Baldur von Schirach im September 1942 beabsichtigte, vor einem in Wien stattfindenden »europäischen Jugendkongress« eine Rede zu halten, in der laut Manuskript die Passage enthalten war, er habe »zehntausend und Zehntausende von Juden aus Wien in die östlichen Ghettos evakuiert«, griff Goebbels ein. Er ließ das Manuskript noch einmal überarbeiten und vor allem alle Passagen herausstreichen, »die uns international Schwierigkeiten bereiten könnten«. Goebbels: »Dieser eine Satz allein würde genügen, uns die ganze internationale Pressemeute nicht nur aus den Feind-, sondern auch aus den neutralen Ländern auf den Hals zu hetzen.« 8
    Dieses beharrliche Schweigen über die Verfolgungspraxis stand in einem unübersehbaren und dramatischen Gegensatz zu den durch die höchste Autorität des »Dritten Reiches« wiederholt vorgebrachten brutalen, jedoch allgemein gehaltenen Drohungen der »Ausrottung«. Es waren diese Drohungen, die dem Schweigen einen vielsagend und unheimlichen Nimbus gaben. Diese unheimliche Atmosphäre wurde noch dadurch verstärkt, dass führende

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