Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
Vom Netzwerk:
ich diese Absicht verwirklichen könnte, so würde ich darüber sehr glücklich sein.« Auch die Tatsache, dass die französischen Behörden in Tunesien die durch die deutsche Besatzungsmacht eingeführten antijüdischen Bestimmungen aufhoben, erschien ihm vielversprechend: Das werde die antisemitischen Emotionen unter der dort lebenden französischen Bevölkerung auflodern lassen. 44 Ebenso setzte er Hoffnungen auf eine Zunahme des Antisemitismus in der Schweiz. 45
    Die deutsche Presse setzte die Vorgaben des Propagandaministeriums, das sie kontinuierlich mit entsprechendem Material versorgte, 46 im Mai und teilweise noch im Juni 1941 getreulich um. Von Anfang Mai bis Anfang Juni erschien in einigen Blättern in fast jeder Ausgabe mindestens ein antisemitischer Beitrag, in anderen Zeitungen war die Frequenz etwa halb so stark. 47 Zusätzlich zu den bereits erwähnten Themen 48 wurden schon Ende April Pläne des US-Finanzministers Morgenthau zur Reform des Weltwährungssystems als »jüdischer Versklavungsplan« 49 angeprangert, während die amerikanische Absicht zur Errichtung einer Welternährungsbank im Mai als »Wunschgebilde jüdischer Weltausbeutung« 50 präsentiert wurde. Triumphierend wurde die Verbannung der Juden aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia registriert, 51 ebenso die Inhaftierung des Sprechers der rumänischen Gemeinschaft in Rumänien, Filderman. 52 Außerdem wurde das angebliche Anwachsen des Antisemitismus im Feindlager sowie in neutralen Ländern aufmerksam beobachtet. 53
    Schließlich griffen die deutschen Zeitungen Stimmen aus der alliierten Presse auf, die sich mit Nachkriegsplänen für die Behandlung NS-Deutschlands beschäftigten: Sie wurden in der deutschen Propaganda als eindeutige Beweise für die alliierte Absicht zur »Vernichtung« Deutschlands herausgestellt. Unter Verweis auf Katyn wurden »die Juden« als Drahtzieher dieser Nachkriegsplanungen dargestellt und die Vernichtung des jüdischen Erzfeindes – als ein dem Regime aufgezwungener Akt der Notwehr – offen propagiert.
    Diese Linie – Vernichtung der Juden, um nicht durch die Juden vernichtet zu werden – bildete die Kernaussage der Katyn-Propaganda, sie findet sich in zahllosen Variationen in der deutschen Presse. So behauptete Der Angriff vom 4. Mai in Bezug auf die Juden: »Ihr Ziel ist die Vernichtung Deutschlands«, und im gleichen Blatt war am 6. Mai zu lesen, »der Jude« werde den Krieg »mit allen verfügbaren Mitteln so lange führen, bis entweder Deutschland vernichtet ist oder er selbst zerschmettert am Boden liegt«. Die Münchner Neuesten Nachrichten erklärten Ende Mai: »Das Judentum besteht auf Deutschlands Vernichtung«, und zogen daraus den Schluss: »Wir wissen, dass es diesem Feind gegenüber nur die Entscheidung der Waffen gibt.« 54
    Im Zuge der massiven antijüdischen Kampagne findet sich eine ganze Anzahl von Stimmen in der Presse, die als Reaktion auf die in der Bevölkerung verbreiteten Gerüchte und Informationen über die »Lösung der Judenfrage« gelesen werden können beziehungsweise solche Gerüchte und Informationen bestätigten. Die durch zahlreiche allgemein gehaltene Andeutungen der Führungsspitze und die nicht erfolgte Dementierung von Gerüchten über den Massenmord zum öffentlichen Geheimnis gewordene »Endlösung« wurde in solchen Pressebeiträgen thematisiert, ohne dass Einzelheiten des Verbrechens genannt wurden. Es scheint, dass zwischen Journalisten und Leserschaft ein unausgesprochener Konsens existierte. Anders lassen sich die folgenden Beiträge kaum verstehen:
    Die Deutsche Allgemeine Zeitung schilderte in ihrem Leitkommentar vom 22. Mai die Judengesetzgebung, die der slowakische Staat seit 1939 erlassen hatte, und zwar »bis zur Massenaussiedlung«; mit der »Abschaffung« von »vier Fünfteln der Juden«, so der Kommentar weiter, sei die slowakische »Judenfrage« jedoch noch keineswegs gelöst. 55
    In einem am 17. Mai in der badischen Gauzeitung Der Führer erschienenen Kommentar behandelte der fanatische Antisemit Johann von Leers, Chefredakteur der NS-Monatsschrift Wille und Weg , unter der Überschrift »Schuld ist der Jude« die »Judenfrage« in einer Art und Weise, die eine zumindest ungefähre Vorstellung des Lesers über die »Endlösung« voraussetzte.
    Leers stellte klar, dass die »Judenfrage […] Kern- und Zentralfrage unseres Volkes geworden« sei. Es gebe »heute Menschen genug, die sich darüber beklagen, dass wir die Juden aus Europa ausrotten«;

Weitere Kostenlose Bücher