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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Schonung mehr rechnen. Verbrecher werden in Zukunft als Verbrecher behandelt werden müssen.«
    Solche Drohungen wurden nicht nur von der Parteipresse ausgesprochen. Der Berliner Lokalanzeiger kommentierte etwa am 9. November, die »eigentliche Quelle dieser Rachetat ist die internationale Hetze des Judentums und seiner literarischen Bravi aus der Emigration gegen alles Deutsche.« Die Deutsche Allgemeine Zeitung kündigte in ihrer Morgenausgabe vom 8. November die »schwersten Folgen für die Juden in Deutschland« an und fügte hinzu: »Es ist nicht unbemerkt geblieben, dass der Friede von München von manchen Juden geradezu mit Enttäuschung aufgenommen worden ist, und dass nicht wenige von ihnen in den Septembertagen deutlich hatten merken lassen, dass sie auf einen Krieg rechneten. Sie dürften erbleichend erkennen, dass das in Paris gefallene Wort von den Rassegenossen sehr zweischneidig ist.«
    Die Frankfurter Zeitung vom 9. November erklärte, es stünde »hinter dem Mordanschlag das Milieu des Pariser Emigrantentums mit seiner systematischen Agitation gegen Deutschland«; die Zeitung verwies – einer Empfehlung der Pressekonferenz 6 folgend – auf das Beispiel des emigrierten jüdischen Schriftstellers Emil Ludwig, der in der französischen Hauptstadt »für eine neue ›Heilige Allianz‹ der Demokratien (natürlich samt der Sowjetunion) gegen Deutschland« werbe. Ähnliche Kommentare finden sich in weiteren Zeitungen, so etwa in der Kölnischen Volkszeitung vom 8. November. Ein Teil der Zeitungen berichtete bereits über erste antijüdische Ausschreitungen, die sich, noch vor der offiziellen Auslösung des Pogroms am Abend des 9. November, in Hessen und Dessau ereignet hatten. 7
    Nach dem Beginn des Pogroms in der Nacht vom 9. auf den 10. November ging es dem Propagandaministerium zunächst einmal darum zu verhindern, dass das gesamte Ausmaß der nächtlichen Gewaltexplosion in der Presseberichterstattung deutlich wurde. Nach einer am Morgen des 10. November gegebenen Anweisung an die Redaktionen, die die Berichterstattung über »Vergeltungsmaßnahmen« an die Verlautbarungen des Deutschen Nachrichtenbüros band, 8 ließ das Propagandaministerium im weiteren Verlauf des Tages lakonisch verlauten: »Hier und dort seien Fensterscheiben zertrümmert worden, Synagogen hätten sich selbst entzündet oder seien sonstwie in Flammen aufgegangen.« Die Berichte sollten »nicht allzu groß aufgemacht werden, keine Schlagzeilen auf der ersten Seite. Vorläufig keine Bilder bringen. Sammelmeldungen aus dem Reich sollen nicht zusammengestellt werden, aber es könne berichtet werden, dass auch im Reich ähnliche Aktionen durchgeführt worden seien. Einzeldarstellungen darüber sind zu vermeiden. Über örtliche Vorgänge könne ausführlicher berichtet werden. Dies alles nur auf der zweiten oder dritten Seite.« 9
    In der Tat begnügten sich die deutschen Tageszeitungen damit, auf den Lokalseiten, meist in recht knapper Form, über die Ausschreitungen auf örtlicher Ebene zu berichten. So hieß es etwa im Völkischen Beobachter vom 11. November unter der Überschrift »Empörte Volksseele schafft sich Luft« über die Situation in Berlin: »Nach den nächtlichen antijüdischen Demonstrationen der Berliner Bevölkerung, die mit Recht all ihrer Empörung Luft machte, sind nun von heute auf morgen mit einmal die jüdischen Geschäfte sämtlich gekennzeichnet. Geräumte Auslagen, zertrümmerte Fensterscheiben und Schaukästen sind die neue Visitenkarte der Judenläden, die bestimmt besser wirken dürfte als der vielfach geforderte, aber niemals angebrachte Hinweis: ›Jüdisches Geschäft‹.«
    Über die Lage in Köln berichtete der Westdeutsche Beobachter vom 10. November in seiner Abendausgabe: »Allenthalben kam es gestern und heute zu leidenschaftlichen Kundgebungen gegen die Juden. Der Zorn der Bevölkerung über das jüdische Verbrechen war so groß, dass sie die Schaufenster der Judengeschäfte und die Synagogen demolierten.« Die Braunschweiger Tageszeitung beeilte sich, ihrem Bericht über Geschäftszerstörungen in der Stadt hinzuzufügen: »Es ist überflüssig, zu betonen, dass selbstverständlich die in den Schaufenstern ausliegenden Dinge nicht berührt wurden.« 10
    Andere Zeitungen schilderten die Ereignisse ausführlicher und gingen damit über die Intentionen des Propagandaministeriums hinaus. Ein vergleichsweise recht anschauliches Bild entwarf zum Beispiel das katholische Bamberger Volksblatt vom 11.

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