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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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dich verfluchen, enttäuscht sein. Enttäuschung tut weh, aber das steckt er weg. Lass ihn nicht rein, es wird euch beide zerstören!
Tom ignorierte die Stimme der Vernunft. Darin war er ziemlich gut …
Er lauschte den Schritten im Treppenhaus. Josh ging sehr langsam und ungleichmäßig, bestimmt hatte er starke Schmerzen. Tom wartete geduldig, über zehn Minuten, bis er den vertrauten dunklen Haarschopf sah, dann ging er in die Wohnung zurück. Beziehungsweise in das Zimmerchen, das ihm als Dach über dem Kopf diente.
     

9.
     
Josh war zu erschöpft, um Nervosität spüren zu können – Tom wohnte im sechsten Stock, und der Fahrstuhl war kaputt. Normalerweise hätte er die paar Stufen problemlos abgejoggt, doch es war anstrengend, gegen den Schmerz und den Widerstand seiner malträtierten Muskeln anzukämpfen.
„Komm einfach rein“, hörte er, als er unschlüssig vor der offenen Tür stand.
Der Raum besaß allerhöchstens 15 Quadratmeter, wenn überhaupt. Links versteckte sich eine Art Kocheinheit hinter einem Mauervorsprung, bestehend aus einem schmalen Herd mit zwei Platten und einem Oberschrank. Rechts von der Tür spielte sich Toms Leben ab. Eine Matratze auf dem Boden diente als Bett, an den Wänden stapelten sich bunte Plastikkisten hoch, in denen er anscheinend seine Sachen aufbewahrte. Aus Pappkartons und einem Holzbrett hatte er sich eine Art Schreibtisch gebaut, der vor dem kleinen Fenster stand, mit einer blauen Plastikkiste als Sitzgelegenheit. Direkt gegenüber dem Eingang befand sich eine weitere Tür, die vermutlich zum Bad führte. Erstaunlicherweise wirkte das Ganze nicht so spartanisch, geschweige denn erbärmlich, wie es hätte sein müssen. Möglicherweise lag es an der Sammlung von Zinndrachenfiguren auf dem Fensterbrett. Die Gitarre, die in einer Ecke stand. Oder den Regalen, die jeden freien Flecken Wand ausnutzten und mit Büchern vollgestellt waren. Die harmonische Musik im Hintergrund mochte helfen, die nach irischer Folklore klang. Das scheue Lächeln des Zimmerbewohners wirkte auf jeden Fall bezaubernd.
Tom war gerade damit beschäftigt, Tee zu kochen. Er hatte ein graues Tuch über eine der allgegenwärtigen Plastikkisten gelegt, die Tassen darauf verdeutlichten, dass diese als Tischersatz herhalten musste.
„Nimm dir ein Kissen und setz dich, ich komme sofort“, sagte Tom.
Ein wenig beklommen betrat Josh das fremde Reich. Es hatte wirklich nichts mit dem Gothik-Klischee zu tun, das er vor Augen hatte: Keine schwarzen Tücher vor den Fenstern, Teufelszeichen oder düsterer Firlefanz aller Art.
War Tom überhaupt ein Goth? Irgendjemand hatte ihn irgendwann so bezeichnet und dabei war es geblieben.
„Gefällt es dir?“ Tom setzte sich zu ihm und schüttete den Tee ein. Der aromatische Duft von Früchtetee stieg Josh in die Nase, mitsamt dem Versprechen auf Wärme und Wohlgefühl.
„Gemütlich. Anders als erwartet.“
Tom grinste verstehend. „Enttäuscht? Ich bin weder Satanist noch Anhänger von Totenkulten.“
„Nein!“ Josh winkte hastig ab. „So krass hab ich’s auch nicht erwartet. Ich … hm, ich kann nicht sagen, was ich mir vorgestellt habe, ich kenne dich ja gar nicht.“ Er nahm einen vorsichtigen Schluck und atmete tief durch, als die Wärme sich behaglich in ihm ausbreitete. „Ich wusste gar nicht sicher, dass du hier wohnst“, fügte er leise hinzu. Tom schien es überhört zu haben, denn er ging nicht darauf ein.
„Laut Internet bin ich ein Schwarzromantiker . Das ist die Schublade für jene, die nicht in die Gothikrichtung passen. Leute, die die Farbe Schwarz bevorzugen und auf der Fantasy-Düster-Melancholisch-Schiene fahren, ohne Nietenhalsbänder, Rüschenhemdchen und Mittelalter- oder Steampunk.“ Tom zuckte achtlos mit den Schultern. „Ich brauche keinen Modekram, um zu demonstrieren, dass ich anders sein will. Ich bin, wie ich bin.“ Er fuhr sich durch die langen Haarsträhnen und lächelte verlegen. „Nun gut, das mit den Haaren ist natürlich Absicht, und die Ohrringe. So als äußeres Zeichen, dass ich nicht sein will, was meine Eltern mir diktiert haben.“
Er bekam diesen abweisenden, in sich verschlossenen Ausdruck, den Josh inzwischen als „mehr gibt es nicht zu diesem Thema, Fragen ist sinnlos“ interpretierte. Tom war wirklich schwierig zu packen …
„Warum hast du mir deine Adresse gegeben?“, fragte Josh schließlich.
„Ich … hm …“ Tom klammerte sich an seine Teetasse. Eine lange Pause entstand, und Josh war schon fast

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