Days of Blood and Starlight
Bruder. Aber Hazael und Akiva waren ihre Familie, ihre einzige Familie –, zwar hatten sie Hunderte von Geschwistern, aber das war nicht dasselbe. Es waren immer sie drei gegen den Rest der Welt gewesen, und auch wenn Liraz ihre Brüder auf dem Schlachtfeld schon mehrmals fast verloren hätte, hatte sie bis vor kurzem nie befürchten müssen, dass sie sie auf diese Art verlieren würde. Unselige durften nicht lieben oder heiraten. Und … irgendwie fand sie es noch viel schlimmer, wenn sie ihre Familie auf diese Weise verlieren würde, denn dann wäre es die Entscheidung ihrer Brüder. Sie würden nicht sterben oder ihr genommen werden. Sie würden beschließen, ihr Leben mit jemand anderem zu teilen und sie zurückzulassen.
Liraz behauptete oft, sie hätte keine Angst, aber das war eine Lüge – sie hatte Angst davor, alleingelassen zu werden. Denn einer Sache war sie sich absolut sicher: Sie würde niemals lieben können, jedenfalls nicht so . Schon bei dem Gedanken, einem Fremden ihren Körper anzuvertrauen, zog sich alles in ihr zusammen. Die Nähe, die Stille … Es war schlicht unvorstellbar. Den Atem eines Mannes einzuatmen, während er ihren einatmete, ihn zu berühren, sich ihm zu öffnen … Die entsetzliche Verwundbarkeit eines solchen Moments ließ sie erschauern. Sie müsste sich unterwerfen, ihre Schutzmauern einreißen lassen, und das würde sie nicht tun. Niemals. Wenn sie nur daran dachte, fühlte sie sich klein und schwach wie ein Kind – und Liraz mochte es nicht, sich klein und schwach zu fühlen. Sie hatte keine angenehmen Erinnerungen an ihre Kindheit.
Ohne Hazael und Akiva hätte sie diese Zeit niemals überstanden. Sie hatte immer gedacht, dass sie alles für ihre beiden Brüder tun würde, aber es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass dieses »alles« bedeuten könnte, sie gehenzulassen.
»Ich frage mich, ob er sie gefunden hat«, flüsterte sie Hazael zu, als sie sich jetzt Jaels Pavillon näherten. Mit »sie« meinte sie die Rebellen. »Wir hätten ihn begleiten sollen.«
»Unsere Aufgabe ist hier«, erwiderte er, und Liraz nickte nur. Sie hatte Akiva nicht schon wieder allein aufbrechen lassen wollen, aber wie hätte sie ihn davon abhalten sollen? Sie wollte auf keinen Fall, dass er anfing, sie zu hassen. Also hatten sie zugesehen, wie er sich unsichtbar machte – was ihn nach der Beschwörung einige Mühe kostete – und dem Kirin in den von Vögeln zerrissenen Himmel folgte, während sie und Hazael zum Lager zurückkehrten. Um ihren Bruder zu decken, wie sie es schon einmal getan hatten.
Nie zuvor waren sie jedoch vor den Kommandanten der Dominion gerufen worden, um ihm ihre Lügen und Halbwahrheiten zu erzählen.
»Bist du bereit?«, fragte Hazael.
Liraz nickte und ging als Erste durch die Zeltplane. Dieselbe Zeltplane, durch die Loriel gekommen war – war es wirklich erst gestern gewesen? Liraz fühlte die kurze Berührung von Hazaels Fingerspitzen auf ihrem Rücken und trug die Verbindung mit sich, als sie Jaels Pavillon betrat.
Loriel hatte gesagt, dass es ihr gutging. Sie hatte gesagt, es wäre nichts – nur ein Mann, und Männer ließen sich durch Waschen entfernen.
Sie war älter als die anderen Soldatinnen und erfahrener. Sie hatte sich freiwillig gemeldet – um zu verhindern, dass man Jael eine Jungfrau zum Fraß vorwarf, hatte sie gesagt –, und obwohl Liraz als Jaels Blutsverwandte selbst nicht in Gefahr gewesen war, war es das Mutigste, was sie je erlebt hatte. Mutiger, als an der Front zu kämpfen oder auf ein Schlachtfeld zurückzukehren, um einen verletzten Kameraden zu suchen. Mutiger, als einer Horde Wiedergänger entgegenzutreten. Liraz hatte all das getan, aber sie wusste, dass sie nie in dieses Zelt gehen und wieder herauskommen könnte – nicht so .
»Mein Herr«, sagte sie jetzt, mit der angemessen tiefen Verbeugung. Hazael tat es ihr gleich.
»Nichte, Neffe.« Jael meinte die Worte als Spott, aber Liraz war dennoch froh darüber. Und das solltest du besser nicht vergessen … Sie hob den Kopf und begegnete seinem Blick.
Was sie in seinem Gesicht sah, gefiel ihr überhaupt nicht. Es war ausschließlich auf sie gerichtet, blendete Hazael vollständig aus, und es war … Interesse, unmissverständlich und beunruhigend. »Wie heißt du?«, wollte er wissen.
»Meine Schwester ist Liraz«, ergriff Hazael das Wort. »Und ich bin Hazael.«
Aber Jael wiederholte nur: »Liraz.« Und dann stieß er ein tiefes Seufzen aus. »Eine Unselige. Das ist
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