Days of Blood and Starlight
würdest.«
»Wirklich?« Karou atmete tief, um die Tränen zurückzuhalten. »Er hat mir geglaubt?« Sie hatte zu Brimstone gesagt, dass sie kein Schmetterling war, der einfach davonfliegen würde, wenn er ihn freiließ, und das hatte sie ernst gemeint.
»Natürlich. Er kannte dich, Liebes.« Der Hauch eines Lächelns, so bittersüß. »Besser, als du dich selbst kanntest.«
Karou stieß ein kleines Lachen aus, und dabei entrang sich ein leises Schluchzen ihren Lippen. »Ja, das stimmt.«
Issas Augen glänzten nass und hell, aber mit sichtlicher Anstrengung schaffte auch sie es, die Tränen zurückzuhalten. Karou ergriff ihre Hände, und sie hielten sich aneinander fest, während sie ihre Geschichten erzählten.
Zuzana und Mik waren in der Nachmittagshitze wieder eingeschlafen, und durch die geschlossenen Fensterläden drangen leise die Geräusche der Kasbah: das Training im Hof, das Klirren der Schwerter. Stimmen.
»Nachdem die Portale abgebrannt sind, wussten wir, dass es nicht mehr lange dauern würde«, fuhr Issa fort. »Joram hat so gnadenlos angegriffen wie nie zuvor. Mit jedem Tag wurde unsere Armee kleiner, und immer mehr Leute flohen nach Loramendi, in der Hoffnung auf … Sicherheit.« Sie schluckte. Sammelte sich. Als sie schließlich weitersprach, war ihre Stimme ein heiseres Flüstern. »Die Stadt war so voll …« Sie sah auf ihre und Karous Hände hinab, die immer noch fest ineinander verschränkt waren. »Auch die Seraphim mussten schwere Verluste hinnehmen. Joram hat sie in den Tod geschickt, so viele, so viele, weil er wusste, dass uns zuerst die Soldaten ausgehen würden. Und so war es dann auch. Zum Schluss war es nur noch eine Frage simpler Berechnung. Loramendi wurde belagert, und da hat Brimstone …« Issas Stimme brach, und sie entzog Karou eine Hand und presste sie auf ihren Mund. Karou hielt ihre andere Hand ganz fest und wünschte, sie könnte mehr tun, wünschte, sie könnte den Schmerz der Schlangenfrau lindern. Durch nichts fühlte man sich hilfloser als durch den Kummer eines geliebten Menschen. Oder in ihrem Fall einer geliebten Chimäre.
Issa rang um Fassung; als sie den Blick wieder hob, sah sie so traurig aus, so untröstlich, dass Karou plötzlich Angst bekam. »Issa …«
Aber die Schlangenfrau redete schnell weiter. »Wir wollten bis zum Ende bei ihm bleiben.« Sie drückte Karous Hände. »Natürlich wollte ich dich wiedersehen und dir helfen, aber ihn alleinzulassen, nach allem …« Issa konnte den Satz nicht beenden. Ihr Mund war nur noch eine schmale weiße Linie, ihr ganzes Gesicht war wie versteinert, so verzweifelt bemühte sie sich, nicht zu weinen. Schließlich atmete sie tief durch. Und noch einmal. »Aber er brauchte uns noch. Also sind Yasri und ich … auch gestorben.«
Auch?
Was hatte sie ausgelassen? Ein namenloser Horror ergriff Karou. Was war in Loramendi passiert? Eine Flut von Bildern strömte auf sie ein. Sie sah Issa und Yasri aus schmerzlosen Wunden bluten, sah, wie ihnen langsam die Augen zufielen. Oder hatten sie Requiem-Tee getrunken und waren so in den endlosen Schlaf gesunken? Zum Schluss sah sie Brimstone und Twiga vor sich, wie sie still, gebeugt und stoisch die Seelen der beiden Frauen einsammelten, die über Jahrzehnte ihre Gefährtinnen gewesen waren.
»Hätte er euch nicht lebendig da herausbekommen können?«, fragte Karou.
Issa sah sie an, und Karou wusste, dass sie das Falsche gesagt hatte. Als hätte Brimstone die Entscheidung womöglich leichtfertig getroffen!
»Nein, mein Kind.« Sie war so traurig. »Selbst wenn wir es geschafft hätten, aus Loramendi zu fliehen, wären wir früher oder später verhungert oder verdurstet oder entdeckt und getötet worden. Die Stase ist schmerzfrei. Wir mussten nicht mutig sein. Wir waren Botschaften.« Sie lächelte. »Oder eher Botschafter .«
Und was war die Botschaft? Nach einem Leben, das in der Sklaverei begonnen hatte, das ihm so viel Schmerz und so viele Opfer abverlangt hatte und das vom Krieg qualvoll in die Länge gezogen worden war, hatte Brimstone in Loramendi dem Tod entgegengeblickt – und was hatte er ihr in seinen letzten Momenten mitteilen wollen? Karou hatte das Gefühl, als würde sie irgendeine Art Test nicht bestehen, und konnte sich nicht dazu bringen nachzufragen. Noch nicht.
Issa erzählte ihr, dass er Vögel mit den Turibula ausgeschickt hatte – die fledermausgeflügelten Schwallkrähen, zu denen auch Kishmish gehört hatte. Sie sollten die Gefäße an
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