Days of Blood and Starlight
hatte. Jetzt, zurück in ihrem Zimmer, waren sie um Issas Hals und Taille geschlungen, und eine wand sich sogar durch ihre Haare. Gerade rutschte eine Windung ihres Körpers über Issas Augenbrauen und kam auf ihrem Nasenrücken zur Ruhe. Lachend schob die Schlangenfrau sie wieder hoch.
»Haben sie dir irgendwas gesagt?« Karou schaltete mühelos vom Tschechischen in die Sprache der Chimären um. Sie erinnerte sich an Avigeth, die korallenfarbige Schlange, die Issa verraten hatte, dass der Jäger Bain seine Wünsche in seinem Bart aufbewahrte. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Karou es vielleicht nie nach Eretz geschafft.
Issas Lachen verklang. Ihr Gesicht wurde ernst. »Ja«, antwortete sie, »sie hat mir gesagt, dass es nach Tod stinkt, seit ihr hierhergekommen seid.«
Das klang, als hätten die Schlangen sie bei ihrer Ziehmutter verpetzt. »Wir haben nur getan, was wir tun mussten«, verteidigte sich Karou. Aber das »wir« hörte sich selbst in ihren eigenen Ohren falsch an, und sie musste unwillkürlich daran denken, was Thiago zu ihr gesagt hatte: »Wir beide kämpfen für die gleiche Sache.«
Das taten sie jedoch ganz und gar nicht. Jetzt war ihr klar, dass sie und der Weiße Wolf für völlig unterschiedliche Dinge kämpften.
Offenbar hatte ihre Antwort wirklich wie eine Rechtfertigung geklungen, denn Issa sah sie verwundert an. »Süße, das bezweifle ich auch gar nicht.« Sie machte eine Pause, und auch ihre Schlangen hielten für einen Moment in der Bewegung inne. Karou wusste, dass die Schlangen auf Issas Gedanken und Emotionen reagierten, dass ihre Stille ein direktes Spiegelbild von Issas Stille war und dass es jetzt Zeit war zu reden. Bisher war immer zu viel los gewesen, zu viele Chimären hatten Issa mit eigenen Augen sehen wollen. Die Schlangenfrau war die einzige Überlebende aus Loramendi, und ihr mysteriöses Auftauchen hatte die Stimmung der Chimärensoldaten deutlich verbessert.
Auch Zuzana und Mik trugen ihren Teil dazu bei. Beim Frühstück hatte Karou voller Erstaunen zugesehen, wie ihre beste Freundin, die nicht einmal die Sprache der Chimären verstand, eine bühnenreife Pantomime von Virkos Geigenspiel hinlegte, komplett mit schrillen Sound-Effekten und ihrer eigenen Reaktion als Variante von Munchs »Der Schrei«. Die sonst so grimmig dreinblickenden Wiedergänger waren in Gelächter ausgebrochen, allen voran Virko selbst. Zuzana hatte während eines einzigen Essens eine bessere Beziehung zu den Chimärensoldaten aufgebaut als Karou in über einem Monat.
Sie hatte sich so sehr geschämt, dass sie es gar nicht richtig versucht hatte. Das wurde ihr jetzt klar. Sie hatte geglaubt, alle würden sie verachten und sie hätte es nicht anders verdient. Glaubte sie das immer noch? Nein – zumindest nicht den Teil ihrer Verachtung, der auf Thiagos Lügen basierte.
Ziri war ebenfalls beim Frühstück in der großen Halle gewesen, und sie hatten zwar nicht miteinander geredet, aber immerhin einen Blick ausgetauscht, in dem eine starke Verbindung lag. Ein geteiltes Geheimnis, und vielleicht mehr als das? Karou hatte gehofft, dass Ziri ein Freund sein könnte, und jetzt war er es wirklich, und auch das hatte sie ausgerechnet Akiva zu verdanken. Der Engel hatte Ziris Leben gerettet, und er hatte ihr Issas Seele gebracht.
Warum?
Jetzt stand Issa vor ihr, ihre Schlangen reglos bis auf ihre zischelnden Zungen, das Madonnengesicht still, aber wachsam. Abwartend. Wartete sie auf Karous Frage?
Den ganzen Morgen über hatte sie die Frage unterdrückt, die ihr auf der Zunge brannte, weil sie Angst vor der Antwort hatte. Doch jetzt musste sie es einfach wissen. Sie atmete tief durch. »Ist er wirklich tot?«
Issas Lippen bebten, und Karou wusste die Antwort. Tränen schossen ihr in die Augen, aber sie blinzelte sie weg.
»Er war noch am Leben, als er uns weggeschickt hat«, sagte Issa leise. »Aber er hat nicht damit gerechnet, dass es so bleiben würde.«
»Er hat euch weggeschickt?«, wiederholte Karou zögernd. Natürlich, Akiva hatte das Turibulum in den Kirin-Höhlen gefunden. Warum war er dort gewesen? Das Zuhause ihrer Chimärenkindheit war auch der Ort, an dem sie sich damals mit Akiva hatte treffen wollen. Dort sollte ihre Rebellion beginnen. Dann fiel ihr mit einem Mal auf, dass Issa von »uns« gesprochen hatte. »Hat er Yasri und Twiga auch weggeschickt?«
»Er hat Twiga erlaubt, bei ihm zu bleiben, aber Yasri und ich sollten überleben. Für dich . Er wusste, dass du kommen
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