Days of Blood and Starlight
erstreckte. Liraz mochte es, übers Meer zu fliegen – die endlose Weite, die saubere, aschefreie Luft, die Stille. Aber ihr Ziel gefiel ihr überhaupt nicht.
»Was könnte er denn wissen?«, erwiderte Akiva. »Und selbst wenn er etwas weiß, wird sich so eine Gelegenheit wahrscheinlich nie wieder ergeben.«
Vielleicht würden sie nie wieder die Gelegenheit haben, ihrem Vater von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und sein brutales Leben zu beenden. Liraz hatte Joram überhaupt noch nie aus der Nähe gesehen. Aber jetzt würde sie es bald tun, und es würde blutig enden. »Ich weiß«, sagte sie und ließ es damit bewenden. Wenn sie protestierte, würde es klingen, als hätte sie Angst – vor Joram. Vor einem Fehlschlag.
Liraz hatte tatsächlich Angst – eine gemeine Angst, so als würde sie völlig schutzlos direkt in einen Sandsturm fliegen – aber das hätte sie niemals zugegeben. Die furchtlose Liraz … Wenn ihre Brüder doch nur wüssten, was das für eine Lüge war. Sie wollte sagen, dass dieses Vorhaben viel zu gefährlich war. Sie wollte Akiva und Hazael davon überzeugen, dass es in Astrae – und noch dazu im Turm der Eroberung – zu viele Faktoren gab, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen. Wir sollten lieber verschwinden und Jorams Pläne von außerhalb des Imperiums untergraben, statt direkt in seine Falle zu fliegen. In sein Netz.
Obwohl sie ihre Angst nicht aussprach und auch ziemlich sicher war, dass man ihr nichts anmerken konnte, kam Hazael näher an ihre Seite geflogen. »Joram will unseren heldenhaften Bruder bestimmt nur für seine Zwecke einsetzen. Wer eignet sich besser dazu, die Rebellen zu bekämpfen, als der große Bestienbezwinger? Vor allem jetzt, wo Joram selbst sich auf seinen irren Krieg gegen die Stelianer konzentrieren muss.«
»Oder es hat irgendwas mit seinem irren Krieg zu tun«, erwiderte Liraz. »Akiva ist Jorams einzige Verbindung zu den Fernen Inseln.«
Akiva war bisher in Gedanken versunken neben ihnen hergeflogen, aber jetzt wandte er sich ihnen zu. »Ich bin keine Verbindung. Ich weiß genauso wenig über die Stelianer wie alle anderen.«
»Aber du hast ihre Augen«, entgegnete sie. »Also würden sie mit dir vielleicht wenigstens verhandeln.«
Akiva machte ein angewidertes Gesicht. »Hältst du es für möglich, dass er denkt, ich würde seinen Abgesandten spielen? Mich seinem Willen unterwerfen?«
»Hoffen wir es.« Liraz’ Stimme klang hart. »Die Alternative ist, dass er dich verdächtigt.«
Akiva schwieg einen langen Moment, bevor er schließlich sagte: »Ihr müsst da nicht mitmachen. Ihr beide …«
»Verdammt nochmal, Akiva«, fuhr sie ihn an. »Ich bin doch schon längst dabei mitzumachen.«
»Und ich auch«, stimmte Hazael genauso entschieden zu.
»Ich will euch nicht in Gefahr bringen«, erklärte Akiva. »Ich kann ihn allein töten. Selbst wenn er mich verdächtigt, kann er unmöglich wissen, wozu ich imstande bin. Wenn ich es schaffe, in seine Gemächer zu gelangen, kann ich ihn umbringen.«
»Du kannst ihn umbringen, aber vermutlich kommst du dann nicht lebend wieder raus«, beendete Liraz seinen Gedankengang, und sein Schweigen war die Bestätigung. »Willst du etwa sterben? Damit würdest du es dir nämlich verdammt leicht machen.« Bei Liraz zeigten sich die meisten starken Gefühle als Wut, aber jetzt war sie wirklich wütend. Nachdem sie ihren Plan in die Tat umgesetzt hatten, würde sie nicht einmal mehr zu ihrem Regiment zurückkehren können, zu der Illusion, ein Leben zu haben. Sie wäre eine Ausgestoßene, eine Verräterin, und sie wusste, dass sie nicht das Zeug dazu hatte, andere für ihre Sache zu gewinnen. Ganz im Gegensatz zu Akiva, dem großen Bestienbezwinger. Und auch Hazael – alle liebten Hazael. Aber wer war sie? Niemand liebte sie, bis auf diese beiden, und manchmal glaubte sie fast, dass auch sie es nur aus Gewohnheit taten.
»Nein, ich will nicht sterben, Lir«, sagte Akiva leise.
Sie konnte nicht erkennen, ob er die Wahrheit sagte. »Gut«, erwiderte sie. »Denn das wirst du nicht. Wir kommen mit, und gestorben wird nur am anderen Ende unserer Schwerter.«
Hazael nickte, und auf Akivas Gesicht wetteiferte Dankbarkeit mit der Leere, die Liraz in Gedanken als seinen »Todeswunsch«-Blick bezeichnete. Sie erinnerte sich an eine Zeit, in der Akiva gelacht hatte, damals, als er noch eine ganze Person gewesen war, mit dem vollen Spektrum an Emotionen. Er hatte nie Hazaels sonniges Gemüt gehabt – wer hatte
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