Days of Blood and Starlight
hören – den Klang seines zerberstenden Herzens –, als wäre sein Echo ebenfalls in dem Wunschknochen eingesperrt gewesen.
Vor achtzehn Jahren war sie gestorben. Brimstone hatte sie heimlich wiedererweckt, und sie hatte dieses menschliche Leben gelebt, ohne zu ahnen, dass es nicht ihr erstes war. Aber in Marrakesch hatte sie sich an alles erinnert, und sie war … aufgewacht . Als sie die Augen öffnete, hielt sie den zerbrochenen Wunschknochen in der Hand, und Akiva stand vor ihr, wie durch ein Wunder.
Das war das Erstaunlichste – dass sie sich wiedergefunden hatten, selbst in einer anderen Welt und in einem anderen Leben. Für einen kurzen, perfekten Moment hatte Karou wahre Freude gekannt.
Und dann hatte Akiva sie endgültig zerstört. Mit diesen Worten, erfüllt von tiefster Scham, von elendem Kummer.
»Sie sind alle tot.«
Sie hatte es nicht geglaubt. Ihr Verstand ließ den Gedanken, dass er die Wahrheit sagte, einfach nicht zu.
Als sie danach dem gefallenen Engel Razgut nach Eretz gefolgt war, hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, dass das, was Akiva ihr gesagt hatte, nicht stimmte, nicht stimmen konnte . Aber dann hatte sie Loramendi gefunden, und … es war keine Stadt mehr da. Sie konnte das volle Ausmaß der Zerstörung immer noch nicht ganz begreifen. Sie hatte einst dort gelebt. Eine Million Chimären hatten dort gelebt. Und jetzt? Razgut, dieses Scheusal, hatte bei dem Anblick gelacht. Das war ihre letzte Erinnerung an ihn. Von jenem Moment an war sie wie in Trance gewesen, und sie konnte sich nicht erinnern, wie sie sich getrennt hatten oder wo.
Alles, was sie in diesem Moment gekannt hatte, war die Ruine von Loramendi. Über der rauchgeschwärzten Landschaft hing etwas, was Karou nie zuvor gespürt hatte: eine Leere, die so tief ging, dass sich die ganze Atmosphäre dünn anfühlte, abgewetzt, wie ein Fell, das man über ein Gestell gespannt und dann so lange mit Messern bearbeitet hatte, bis es sauber war.
Was sie fühlte, war die vollkommene Abwesenheit von Seelen.
»Es ist zu spät.«
Wie lange sie in den Ruinen umhergeirrt war, hätte sie später nicht sagen können. Sie befand sich in einem Schockzustand. Erinnerungen strömten auf sie ein. Ihr Leben als Madrigal verflocht sich mit ihrem Selbst als Karou, beladen mit Tod, mit Verlust, und im Zentrum ihrer lähmenden Trauer stand die Tatsache, dass sie selbst das alles ermöglicht hatte. Sie hatte den Feind geliebt und ihn gerettet. Sie hatte Akiva befreit.
Und er hatte das getan.
Bitter, so bitter, war die Verwüstung. Sie war das Werk der Engel, ihre Vergeltung.
Als eine Stimme die Stille zerrissen hatte, war Karou mit gezückten Mondklingen herumgewirbelt, wild entschlossen, die Engel bluten zu lassen. Wenn es Akiva gewesen wäre, der ihr in den Ruinen von Loramendi begegnete, hätte sie sein Leben nicht noch einmal verschont. Aber er war es nicht, und es war auch kein anderer Seraph.
Sondern Thiago.
»Du?«, hatte er gesagt, und es klang fast erstaunt. »Bist du es wirklich?«
Karou konnte nicht sprechen. Der Weiße Wolf musterte sie von oben bis unten, und sie wich vor ihm zurück. Ihre Erinnerungen brannten in ihr, Abscheu verwandelte ihren Magen in eine brodelnde Schlangengrube, und aus der tödlichen Schockstarre flammte plötzlich ein heftiger Zorn auf – auf das Universum, das immer neue Grausamkeiten für sie bereithielt. Und auf ihn, der als Einziger noch lebte.
So viele Seelen, und ausgerechnet er hatte das Massaker überlebt: ihr eigener Mörder.
Gebrochen
In jener Nacht vor so langer Zeit, in einem anderen Leben, einem anderen Körper, hätte sie wissen müssen, dass sie verfolgt wurde, doch ihre Freude trübte ihre Achtsamkeit.
Sie war Madrigal aus dem Stamm der Kirin. Sie war verliebt. Sie war einem gigantischen, kühnen Traum verfallen. Einen Monat lang, eine heimliche Nacht nach der anderen, flog sie im Mantel der Dunkelheit zum Tempel von Ellai, wo Akiva bereits auf sie wartete, rastlos vor Liebe und genau wie sie erfüllt vom Feuer ihres gemeinsamen Traums von einer neuen Welt. Besonders kostbar war für sie der Moment ihrer Ankunft – der erste Blick, den sie auf sein Gesicht erhaschte, wenn sie durch das Blätterdach der Requiem-Bäume herabglitt und in seinen Augen dieselbe Freude aufleuchten sah, die sie in ihrem Herzen spürte. Es war dieses Bild, das sie die nächsten Tage begleiten würde; Akivas Gesicht, so perfekt und wunderschön, erleuchtet von Erstaunen und Glück. Er streckte die
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