Days of Blood and Starlight
Augenlider mit den Fingerspitzen nachzeichnete, seine Berührung so zart wie Kolibrimotten, so sanft wie Requiem-Blüten, die zur Erde schwebten.
Sie schloss die Augen, verschränkte die Arme, eine Hand auf jedem Unterarm, und fühlte den Druckschmerz der Prellungen. Thiago, ihr Verbündeter, Akiva, ihr Feind. Wie pervers. Was macht einen Feind zum Feind?
Nein. Sie konnte nicht vergessen und grub die Finger in die blauen Flecke, um sich von den Erinnerungen zu befreien. Tintenstriche auf Mörderhänden, das machte einen Feind zum Feind. Aschewälle, dort, wo einmal Städte waren, das machte einen Feind zum Feind.
Issa zog den nächsten Stich fest und schnitt den Faden ab. Karou dankte ihr und fragte sich: Was jetzt ?
Die Sonne würde aufgehen, und Karou konnte nicht ewig in ihrem Zimmer bleiben. Sie musste sich den Chimären stellen. Sie konnte nicht warten, bis ihre Striemen verheilt waren. Würden die Chimären ihre Verletzungen überhaupt bemerken? Schließlich war es für sie selbstverständlich, dass Karou immer irgendwelche Blutergüsse hatte. Wie viel wussten sie von dem, was an der Grube passiert war?
Nicht alles, so viel war sicher, und – gute Götter und Sternenstaub – sie sollten es lieber nie erfahren.
Ein Geräusch, ganz nah …
»Karou.«
Ein ersticktes Flüstern. Karou blinzelte.
»Wer ist da?«, fragte Issa, und da wusste Karou, dass sie sich das Flüstern nicht eingebildet hatte. Es kam vom Fenster, und diesmal war es nicht Bast.
»Bitte.«
Eine körperlose Stimme, das Wort langgezogen, zu leise, um seine Stimme so volltönend klingen zu lassen, wie sie eigentlich war, aber Karou erkannte sie. Ihr wurde heiß und kalt. Warum? Warum kam er hierher zurück? Sie stand so schnell auf, dass der Stuhl klappernd hinter ihr zu Boden fiel.
Issa starrte sie an. »Wer ist das, Kind?«
Aber Karou hatte keine Zeit, ihr zu antworten. Die Riegel an den Fensterläden waren nicht mehr da. Das Fenster ging auf. Issa erschrak, die schweren Muskeln ihrer Schlangenwindungen wellten sich im Kerzenlicht, und Karou wich vor dem Eindringling und seiner Hitze zurück. Im gleichen Augenblick erschien Akiva im sanften Schimmer eines sich verflüchtigenden Unsichtbarkeitszaubers und stürzte zu Boden.
Totes Gewicht
Er war nicht allein. Karou fühlte die Gegenwart der anderen, ehe der Unsichtbarkeitszauber auch von ihnen abfiel und sie offenbarte. Die beiden von der Karlsbrücke. Sie erkannte sie sofort, obwohl sie jetzt völlig anders aussahen. Die Schwester – Liraz –, deren schönes Gesicht so hart und gefährlich ausgesehen hatte, war voller Kummer, sie keuchte, und ihre Augen waren rot von Tränen – wenn auch nicht annähernd so rot wie die von Akiva, der aussah wie damals vor langer Zeit, als Madrigal in einem entführten Körper zu ihm in seine Zelle in Loramendi gekommen war, um ihn zu befreien. Nichts Weißes war in seinem Augapfel mehr zu sehen. Was war geschehen? Er war aschfahl, vollkommen am Ende.
Aber so verändert sie auch waren, am schlimmsten hatte es ihren Bruder getroffen. Denn er war … tot.
Sie hielten seinen Körper zwischen sich, schienen aber beide der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Als sie ihn behutsam auf den Boden legen wollten, entglitt ihnen sein Körper und landete mit einem dumpfen Aufprall. Ein Stöhnen kam von Liraz, die auf die Knie fiel und den Kopf ihres Bruders mit unglaublicher Zärtlichkeit aufhob.
Hazael. Jetzt erinnerte Karou sich. Sein Name war Hazael. Seine Augen waren offen und reglos, seine Haut bleich, Hals und Glieder bereits erstarrt. Seine Flügel brannten nicht mehr, die Flammenfedern nur noch nackte Kiele, die Spitzen zu Asche verbrannt und abgefallen. Offenbar war er schon eine ganze Weile tot.
Noch immer schüttelten Karou abwechselnd Hitze- und Kälteschauer, sie stand da wie angewurzelt und versuchte, die Szene zu begreifen. Schließlich war es Issa, die langsam vortrat, sich über Hazael beugte und vorsichtig sein Gesicht berührte. Karou sah einfach nur zu und fühlte sich seltsam distanziert, das alte Gefühl von Unwirklichkeit kehrte zurück, als wäre ihr Leben ein Schattenspiel an der Wand. Sie erwartete, dass Akivas grimmige Schwester Issa anfauchen und beiseiteschieben würde, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen griff Liraz nach Issas Hand und hielt sie fest. Die Schlangen im Haar und um den Hals der Schlangenfrau wurden still und aufmerksam, bereit zuzuschlagen, wenn es erforderlich wurde.
»Bitte«, stieß Liraz mit
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