Days of Blood and Starlight
sah das groteske Bild, so wie er es vor Augen hatte. Die entwürdigende Pose des Wolfs, seine zerknautschte, aufgerissene Kleidung, die unmissverständlich seine Blöße freigab, das kleine Messer, das dort lag, wo es aus seiner toten Hand geglitten war und auf einmal aussah wie ein Brieföffner oder ein Spielzeug.
Und sie. Zitternd. Blutig. Schuldig.
Sie hatte den Weißen Wolf getötet. Wenn sie überhaupt fähig gewesen wäre zu denken, hätte sie sich nichts Schlimmeres ausmalen können.
Aber oh, es war noch schlimmer gekommen.
Jetzt in ihrem Zimmer legte sie den Kopf an Ziris Brust und fühlte seinen Herzschlag an ihrer Wange – schnell und schneller; sie wusste, dass es jetzt Ziris Herz war, nicht Thiagos, dass es ihretwegen so schnell schlug – und sie versuchte ihren Ekel um seinetwillen zu bezwingen.
Sie hatte zwar gehofft, ihr kleiner Kirin-Schatten würde sich als Verbündeter entpuppen, aber so etwas hatte sie sich nie vorgestellt.
Nach dem ersten Augenblick leeren Staunens war er zu ihr gestürzt, war so behutsam mit ihr gewesen, so achtsam und gut und klar – von seiner Schüchternheit war nichts mehr zu spüren, er war konzentriert und sehr stark. Vorsichtig, aber fest hatte er sie an den Schultern gepackt und dazu gebracht, ihn anzusehen.
»Es ist vorbei«, hatte er ihr gesagt, als er sich vergewissert hatte, dass das Blut nicht ihres war. »Karou. Schau mich an. Es ist vorbei. Er kann dir nichts mehr tun.«
»Doch, er kann und er wird«, hatte sie entgegnet, beinahe hysterisch. »Er kann nicht tot bleiben, das geht nicht. Sie werden mich zwingen, ihn zurückzuholen. Er ist der Weiße Wolf. Er ist der Weiße Wolf. «
Das war es, mehr gab es nicht zu sagen. Auch Ziri wusste das, sie brauchten nicht über »was wäre, wenn« zu sprechen. Doch Ziri sah, was zu tun war, und er handelte. Als er seine Mondsichelklingen zog, durchschaute Karou seine Absicht sofort, erschrak und versuchte, ihn aufzuhalten. Er sagte, dass es ihm leidtat. »Aber nicht um mich. Der Teil ist in Ordnung. Es tut mir leid, dich für die Zeit dazwischen alleinzulassen.«
Dazwischen. Zwischen zwei Körpern.
»Nein! Nein!« Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein. »Wir lassen uns etwas anderes einfallen. Ziri, du kannst das nicht tun …«
Aber er tat es, mit geübter Hand, und seine Klinge war sehr scharf.
Sie hielt ihn, während er starb, und seine runden braunen Augen waren groß und furchtlos, und sie waren sanft und voller Hoffnung, bevor sie sich trübten, genau wie die des kleinen Jungen, der ihr durch Loramendi gefolgt war. Daran dachte sie, als sie ihn tot in den Armen hielt – sie dachte an den Jungen, der er einmal gewesen war –, und daran dachte sie auch jetzt, als er sie in seinen neuen Armen hielt. Sie dachte an den Jungen, denn sie wollte ihn nicht verraten, indem sie schauderte. Das wäre so unfair gewesen nach allem, was er getan hatte, und so gemein, aber sie musste alle Kraft aufbringen, sich nicht von ihm loszureißen. Denn obwohl er Ziri war, hatte er die Arme des Wolfs, und seine Umarmung war ihr ein Gräuel.
Als sie es nicht mehr ertrug, nutzte sie einen Vorwand, um sich loszumachen. Sie griff in die Tasche, trat zurück und holte den Gegenstand heraus, den sie vor ein paar Tagen eingesteckt und halb vergessen hatte.
»Schau mal«, sagte sie. »Das ist … ich weiß nicht.« Auf einmal kam sie sich dumm vor. Sogar lächerlich – was sollte er denn damit anfangen? Es war die Spitze seines Horns, nur ein paar Zentimeter, das Stück, das abgebrochen war, als Ziri im Hof bewusstlos geworden war. Warum sie es mitgenommen hatte, wusste sie nicht genau, und als sie jetzt danach tastete, wünschte sie plötzlich, sie hätte es nicht getan. Denn sie hörte Schüchternheit in seiner Stimme, als er sagte: »Du hast es aufbewahrt«, wodurch klar wurde, dass er zu viel in ihre Geste hineinlas.
»Für dich«, sagte sie. »Ich dachte, du möchtest es vielleicht. Das war, bevor …« Bevor sie den Rest von ihm in einem notdürftigen Grab beerdigt hatte? Erneut ballte sich ihr Magen zu einer schmerzhaften Faust. Es war das Beste gewesen, was sie tun konnte, und wenigstens lag er nicht in der Grube. Die Grube kam nicht in Frage für den letzten echten Kirin-Körper, bei Ellais Liebe, und sei er auch nur Sternenstaub, der in eine flüchtige Form gebracht worden war. Es war schlimm genug gewesen, trockene Erde auf sein Gesicht zu werfen. Immer wieder hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihre Entscheidung
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