Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
Zwölf-Stunden-Schicht am Hals. Bis dahin hatten sie offiziell dienstfrei.
Im Radio lief ein altes Lied, das Wendy an die Sommer ihrer Kindheit erinnerte. Ein sehr altes Lied, aufgenommen schon vor ihrer Geburt. Einige jüngere Cops bewegten sich im Rhythmus der Musik, wippten mit den Köpfen und wechselten von einem Bein aufs andere, versuchten sich abzuregen. Wendy wusste nicht mehr, wie die Band hieß, aber das Lied brachte sie in einen speziellen Sommer zurück, in dem sie zehn Jahre alt gewesen war, vielleicht auch elf. Sie erinnerte sich daran, dass sie mit dem Fahrrad an ihrem Papa vorbei durch die Einfahrt geradelt war. Er hatte sich über die offene Motorhaube seines großen Polizeiwagens gebeugt und am Motor gearbeitet. Die Handgriffe des Fahrrades waren mit bunten Troddeln versehen, die im Wind wehten. Sie erinnerte sich an das Geräusch der Rasenmäher und an den Geruch von frisch gemähtem Gras. In diesem Sommer war sie von einem Jungen geküsst worden. Sein Name war Dale. Auf dem Hinterhof seines Hauses hing eine Reifenschaukel an einem dicken Seil an einer alten Eiche. Dort hatte er sie geküsst. Die Erinnerung daran war zauberhaft. Einige Sekunden lang schlief sie im Stehen.
Sie öffnete die Augen. Im Foyer schrien Männer herum. Mehrere Polizisten schauten sich gegenseitig an. Einige runzelten die Stirn, andere lachten. Ein Schrei zerriss die Luft. Alle erstarrten und sahen finster zur Tür. Weiteres Geschrei. Stampfende Füße. Die Cops sprangen auf.
Raspberries. So hatte die Band geheißen. Nun fiel es Wendy wieder ein.
Die Tür flog auf. Leute strömten herein, griffen nach den erstbesten Polizisten und wurden unter Flüchen zurückgedrängt. Weitere Menschen in Papierhemden und Krankenhauskitteln betraten keuchend den großen Raum. Einige Cops schlugen mit ihren Knüppeln um sich, während andere versuchten, den Angreifern Handschellen anzulegen. Noch mehr drangen herein, sie heulten und fletschten die Zähne. Die Cops, die Wendy am nächsten waren, ließen ihre Drinks fallen und griffen nach den Schlagstöcken. Wendy tat es ihnen gleich.
» Das Arschloch hat mich gebissen! «
Cops gingen zu Boden. Wendy sah einen Mann in den Arm eines Polizisten beißen und den Kopf wie ein Hund schütteln. Sie schlug den Mann mit ihrem Knüppel, und er wankte fort. Der Polizist sank auf die Knie, zuckte, und seine Augen wurden glasig. Dann schlug er der Länge nach auf den Boden. Überall wurde Mann gegen Mann gekämpft. Die Schlagstöcke wurden erhoben und sausten herab, doch für jeden zu Boden geknüppelten Angreifer war gleich darauf ein neuer da.
John-John packte Wendys Arm.
» Los, sag dem Lieutenant, dass wir angegriffen werden « , brüllte er. » Los, Frischling, hau ab! «
Wendy rannte durch den Korridor und trat in den Raum, in dem die Detectives saßen. Ein Mann nahm sie sofort in den Schwitzkasten. Wendy wehrte sich, doch andere Hände hielten sie fest. Im Aufenthaltsraum hörte sie Schüsse krachen.
» Hör auf damit, Wendy « , sagte eine vertraute Stimme.
Sie sah Dave Carver, der von einer Gruppe stämmiger Detectives in billigen Anzügen und üblen Krawatten umgeben war. Alle schauten finster und nervös drein und atmeten schwer. Sie rochen nach abgestandenem Kaffee.
» Lass mich los « , schrie sie. » Ich muss zum Lieutenant! «
» Er ist beschäftigt « , sagte einer der Detectives höhnisch. » Was läuft denn bei den Uniformierten so, Frischling? «
» Sie werden gerade umgebracht. Ich meine es ernst – sie werden umgebracht! «
» Was redest du denn da? «
» Sie ist besoffen. Sie hat ’ne Fahne. «
» Wer schießt denn da bei euch rum, Frischling? «
» Lasst sie doch mal was sagen. «
Die Detectives ließen sie los. Wendy holte Luft und sagte: » Wir werden angegriffen. Von Zivilisten in Krankenhausklamotten. Sie sind unbewaffnet. « Plötzlich wurde ihr die Wahrheit bewusst. » Es sind Schreier. Wahrscheinlich aus dem Mercy. Sie sind aufgewacht und verrückt. «
Dave nickte. » Wie viele? «
» Vierzig. Fünfzig. Vielleicht hundert. Ich weiß es nicht. Vielleicht mehr. Es ist da drin gerammelt voll von denen. Alle Streifenpolizisten sind mit ihnen beschäftigt. «
Ihnen wurde nun klar, dass das Geschrei und die Schüsse im Aufenthaltsraum vom Knurren aus Hunderten von Kehlen ersetzt worden war. Eine Faust knallte gegen die Tür und erschreckte sie. Dann noch eine.
» Das ist doch Quatsch « , sagte ein Detective erbleichend.
Seine Kollegen blickten finster und
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