Dead Beautiful - Deine Seele in mir
schon, oder? Warum nicht?
Ich überlegte mir genau, was ich zurückschreiben sollte.
Sie wirkt erschöpft, aber schläft und isst nicht. Sie ist die ganze Zeit eiskalt, aber merkt’s nicht. Nichts macht ihr mehr Spaß. Redet die ganze Zeit nur vom Tod.
Nathaniel starrte auf meine Worte, offensichtlich überrascht über mein Wissen. Ich wartete, bis er den Zettel zurückwarf, und faltete ihn auf.
Klingt depressiv.
Seine Antwort überraschte mich. Nathaniel war untot, da war ich mir so gut wie sicher. Ich war mir auch sicher, dass er kapierte, was ich ihm da sagen wollte – so sehr durch die Blume war meine Botschaft jetzt auch wieder nicht. Aber aus irgendeinem Grund markierte er den Stumpfsinnigen. Ich schrieb zurück.
Ich weiß, was du bist.
Nathaniel mied meinen Blick.
Keine Ahnung, wovon du redest.
Kopfschüttelnd ließ ich meinen Stift über dem Zettel schweben und wusste nicht recht, wie ich weitermachen sollte. Warum log er mich an?
Du musst mir nichts vormachen. Ist nichts Schlimmes dabei. Ich erzähl’s auch niemandem.
Er antwortete schnell.
Danke, aber da gibt’s nix zu erzählen. Was denn vormachen? Kommst du morgen zum Theater?
Ich hatte ja immer gewusst, dass Nathaniel unsicher war, aber dass er so komplett auf Verweigerung gestellt hatte, verwunderte mich doch. Ich knüllte den Zettel in meiner Faust zusammen und nickte.
Die Vorstellung sollte vor der großen Eiche stattfinden, bei Sonnenuntergang. Seit ihrer Rückkehr ans Gottfried nach den Winterferien hatte sich Eleanor in größeren Menschenansammlungen unwohl gefühlt. Alle zeigten auf sie und tuschelten, weshalb sie sich lieber in die Bibliothek verkroch, als zur Aufführung zu gehen. Ich traf mich vor dem Speisesaal mit Dante und gemeinsam spazierten wir Richtung Eiche.
Am Rande des Parks waren Bankreihen aufgestellt und der Rasen wurde von sechs mächtigen, halbkreisförmig aufgestellten Fackeln erleuchtet. Dante nahm mich bei der Hand und zog mich zu den hinteren Reihen. Wir fanden ein Eckchen am Rand der Wiese, unter einem großen Ahornbaum, und ließen uns nieder. Von der Bühne konnten wir nicht viel erkennen, da uns die Bänke die Sicht verstellten, aber das störte uns nicht. Nach und nach verebbte das Dröhnen der Menge und eine Reihe von Schülern, angeführt von Gideon, trat auf die Bühne.
Ich tat, als folgte ich dem Stück, aber in Wirklichkeit konnte ich mich nur auf Dante neben mir konzentrieren und auf sein Hemd, das meinen Arm streifte. Hinter den dunklen Umrissen der Baumwipfel konnte ich gerade ebennoch die Schulgebäude ausmachen, ein jedes nach einem Philosophen oder Rektor oder Lehrer benannt – eine ständige, in den Mauerstein gehauene Erinnerung, dass wir von Toten umgeben waren.
Dante rückte näher, bis sich unsere Arme berührten. In der Ferne, erhellt vom unheimlichen Lichtschein der Fackeln, rezitierte der Chor Worte von Mord und Verrat, hüllte uns ein in Stimmen aus der antiken Welt.
»›Weib‹«, flüsterte Dante zugleich mit dem Chor auf der Bühne. »›Dein tapferer Sinn ist’s, wiss es, der dich standhaft macht.‹«
Fassungslos hob ich meinen Kopf, den ich gemütlich auf meine Hände gestützt hatte, zu ihm empor. »Gibt es eigentlich auch was, das du nicht auswendig kannst?«
»Mich gibt’s schon eine ganze Weile«, entgegnete er. »Ist nicht so schwierig, wie du glaubst.«
Er nahm meine Hände in seine, zog mich in seinen Schoß und legte seine Arme um mich. »Ein Liebespaar, zum Tod verdammt«, erklärte er mir die Handlung, während er mir am Ohr knabberte. »Aus Eifersucht getötet.«
»Verdammt«, echote ich murmelnd und starrte in die Nacht hinaus.
»›Es wehet Dunst mir wie aus einem Grabe zu‹«, deklamierte Dante gemeinsam mit dem Schauspieler auf der Bühne, der Agamemnons Geliebte, Kassandra, spielte.
Kaum zu glauben, dass das hier in mancher Hinsicht auch meine eigene Geschichte war. Ich schloss die Augen, lauschte den Worten, wünschte mir, wir könnten woanders sein – als ob das etwas daran ändern könnte, dass Dante sterben würde und ich nichts, gar nichts dagegen tun konnte.
Dante sah mir in die Augen, sein Blick traurig und tränenverhangen. »›So geh ich! Und den Schatten klag ich künftig mein und Agamemnons Ende! ’s ist des Lebens g’nug!‹«
»›’s ist des Lebens g’nug‹«, wiederholte ich und drückte meine Stirn gegen seine; unsere Finger und Beine verschlangen sich, als wären wir zwei Menschen, die sich einen einzigen Körper
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