Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
Vom Netzwerk:
Augen zur Tür.
    Ich schaute aus dem Fenster. Das Wasser, das vorhin von der Regenrinne getropft war, war jetzt zu Eiszapfen gefroren. Ich kannte dieses Gefühl. Die Untoten. Aber diesmal war es nicht Dante.
    Lautlos stand ich auf und machte mich bereit, völlig synchron mit Noah. Wir mussten nicht sprechen, wir dachten genau dasselbe. Wir schlichen an der Wand entlang. Als Noah sich unbeobachtet glaubte, befeuchtete er sich die Lippen. Hatte er mich geküsst? War das wirklich passiert? Ich wandte den Blick ab und betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Es war staubig und hager, wie mein älteres Ich, ein uraltes Ich aus einem früheren Leben. Wenn es ein Kuss gewesen war, musste das auch in einer anderen Welt geschehen sein, als wir beide andere Menschen gewesen waren.
    Im Flur angekommen, hörte ich von unten Stimmen. Ich schloss die Augen und versuchte, sie zu zählen. Einer beim Fenster. Einer an der Tür. Noch zwei am Küchentisch. Vier weitere draußen, bei der Scheune. Und noch eine Handvoll auf dem Acker. Uns blieb nur der Weg nach links über den Flur.
    Vorsichtig wagte ich einen Schritt, dann noch einen und noch einen, bis wir ein Zimmer am anderen Ende des Hauses erreichten. Ich drehte den Knauf, stieß die Tür auf und trat ein, Noah mir auf den Fersen.
    Wir fanden uns in einem schmalen, finsteren Raum wieder, mit niedriger Decke und einer engen Treppe an einer Seite. Das Dienstmädchenzimmer. Doch statt mit richtigen Möbeln war es mit Spielzeug vollgestopft. Altes, abgenutztes Spielzeug, verkratzt und zerbrochen, wie seit Generationen im Gebrauch. Plastiklaster und Matchboxautos, Murmeln und Bauklötze lagen auf dem Boden verstreut.Ich stieg vorsichtig um sie herum und bestaunte das Zimmer. Was war das hier?
    Gerade wollte ich uns das Treppchen hinunter- und zur Tür hinausführen, als wir noch mehr Stimmen hörten. Wie Raureif drangen sie durch die Lüftung. Ich ging in die Hocke und hörte zu. Es mussten Dutzende sein. Sie plauderten und lachten und zankten sich, mit hohen, ausgelassenen Stimmen, die fast weinerlich klangen. Es waren Kinder   – Jungen, nicht älter als zwölf, da sie noch nicht im Stimmbruch waren. Ich versuchte zu verstehen, was sie sagten, hörte aber nur Geplapper.
    Gerade wollte ich mich abwenden, da schnitt sich eine tiefe Stimme durch ihr Schnattern hindurch. Sie sprach Latein. Es klang wie ein Junge   – oder eher ein Mann   – in Dantes Alter, vielleicht älter. Stille senkte sich über das Zimmer. Ich wartete mit zitternden Lippen, doch als er sprach, konnte ich nur ein paar Worte heraushören:
    »Die Neun Schwestern.«
    »Name im Briefkasten.«
    »Haltet das Weib fest und wartet auf uns.«
    »Dient dem Liberum.«
    Lautlos erhob ich mich und zwang mein Herz, leiser zu schlagen. Ich starrte ins Leere. Das Liberum. Hatte die tiefe Stimme einem der Brüder gehört? Setzten sie untote Kinder darauf an, nach dem Geheimnis der Neun Schwestern zu suchen?
    Ich spähte aus dem Fenster, dorthin, wo unser Taxi hätte warten sollen. Doch da war nichts mehr.
    »Was sagt er?«, bewegte Noah die Lippen.
    »Wir müssen hier raus«, flüsterte ich so leise, dass ich mir nicht mal sicher war, ob Noah mich gehört hatte.
    Aber wie? Wir waren meilenweit von aller menschlichen Zivilisation entfernt. Unwillkürlich stieß ich mich von der Wand ab, um Abstand zwischen mich und die Stimme zu bringen. Aber ich hatte das ganze Spielzeug auf dem Boden vergessen und blieb an einer Eisenbahn hängen, deren Schienen durch den gesamten Raum verliefen.
    Alles passierte viel zu schnell. Ich stolperte und breitete die Arme aus, um mich an einem Tisch festzuklammern. Doch ich war zu langsam, fiel wie ein nasser Sack auf den Boden und verteilte die klappernden Spielsachen unter mir im ganzen Zimmer.
    Ich rührte mich erst wieder, als sich alles gelegt hatte. Im Haus war es still geworden. Noahs aufgerissene Augen wanderten von mir zur offenen Tür und dann zum finsteren Gang dahinter.
    Von irgendwo aus der Ferne hörte ich das Tapsen kleiner Füße. Sie schienen aus dem Nirgendwo und aus dem Überall zu kommen, wie Regentropfen auf dem Dach   – zunächst leise, dann lauter, wie Dutzende winziger Pfötchen, die die Treppe hinauftrippelten.
    Ich spürte sie, bevor ich sie sah: eine Eisdusche, als wäre ich gerade in einen zugefrorenen See eingebrochen. Eine Gänsehaut überzog mich, als sie näher kamen, näher, immer näher, und die kalte Luft wickelte mich ein, schnürte sich so fest um meinen Hals, dass

Weitere Kostenlose Bücher