Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
der Küste.«
»Annette und ich hatten kein enges Verhältnis.«
Ich schüttelte den Kopf und versuchte zu begreifen. »Aber jedes Mal, wenn ich Sie auf der Straße gesehen habe, war es, als wollten Sie unentdeckt bleiben.«
Sie setzte ihren Becher ab. »Wann habt ihr mich gesehen?«
»Das erste Mal bei Miss LaBarges Beerdigung. Das zweite Mal hat Ihr Auto an einer Kreuzung gehalten. Ich wollte Sie ansprechen, aber Sie sind verschwunden. Und das dritte Mal mit Noah, vor einer Bäckerei am alten Hafen, wo Sie vorbeigelaufen sind. Wir sind Ihnen in die Innenstadt gefolgt, wo Sie einen Aufzug in den Untergrund genommen haben. Als wir es dann auch in die Tunnel geschafft hatten, haben wir Sie nirgends gefunden.«
Collette blieb eine ganze Weile stumm und schaute zwischen uns hin und her. Endlich sprach sie doch. »Warum seid ihr hergekommen?«
Noahs Blick traf meinen, aber keiner von uns antwortete.
»Hat euch jemand verfolgt?«, fragte sie mit beunruhigtem Ausdruck.
»Wir haben nach dem Geheimnis der Neun Schwestern gesucht«, sagte ich schließlich.
Collette hustete.
»Kennen Sie es?« Ich merkte es an der Art, wie ihre Augen groß wurden, wie sie auf ihrem Stuhl herumrutschte.
»Da stellt ihr eine gefährliche Frage«, sagte sie leise. »Die Suche nach dem Geheimnis der Neun Schwestern kann nur zum Tod führen – genau wie bei deinen Eltern, meiner Schwester und Cindy Bell. Oder ihr endet wie ich, eine Gefangene, in ständiger Angst vor dem Liberum.«
»Zu spät«, sagte ich. »Es hat uns schon gefunden.«
Als sie die Bedeutung meiner Worte erfasste, glitt ein Hauch von Verständnis über ihr Gesicht. Ihr Körper spannte sich an, während ihre Augen von uns zum Fenster glitten. »Sind sie euch hierher gefolgt?«
»Was wissen Sie?«, drängte ich.
»Habt ihr sie hierher geführt?«, fragte sie in wachsender Panik.
»Nicht ausgeschlossen«, gab ich zu. »Bitte, sagen Sie uns, was Sie wissen. Wir haben nicht viel Zeit.«
Sie schob ihren Tee von sich und sah mir direkt in die Augen. »Ich werde es euch zeigen.«
Wir folgten ihr durch einen Flur und dann eine Treppe hinunter, bis in einen alten Keller.
»Wir haben uns alle am Gottfried angefreundet – deine Mutter, Annette, Cindy und ich. Damals haben wir das erste Mal von Les Neuf Sœurs gehört. Genau wie alle anderen waren wir anfangs nur fasziniert, aber je intensiver wir forschten, desto überzeugter waren wir, dass das Geheimnis noch existierte. Die mysteriöse neunte Schwester musste es irgendwo versteckt haben. Und was als Hobby begonnen hatte, wurde langsam zur Besessenheit.
Wir sind kreuz und quer durch Europa gereist, nach Frankreich, Italien und England, und haben nach irgendeinem Hinweis auf ihre Identität gesucht. Wir haben sämtliche französischen Wächterarchive durchkämmt, um irgendein begabtes Mädchen aus der Zeit der Neun Schwestern aufzutreiben. Aber alles war für die Katz, natürlich. Das Problem war, dass wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf Frankreich gerichtet hatten, weil die Neun Schwestern dort herstammten. Wir hatten noch nicht mal im Traumdaran gedacht, in Montreal nachzuforschen, wo sie ihr jüngstes Mitglied zur Schule geschickt hatten.«
Collette schritt zu einer schlichten Kommode in der Kellerecke. Sie zog eine der Schubladen auf und entnahm ihr eine Schachtel, die so aussah wie eine Teedose. Sie hob den Deckel und zog einen vergilbten Umschlag heraus.
»Das hat mir Annette gegeben, bevor sie umgebracht worden ist. Sie meinte, deine Eltern hätten es ihr gegeben und dass es unglaublich wichtig sei, diesen Brief sicher aufzubewahren.«
Damit reichte sie ihn mir. Der Umschlag war an eine Alma Alphonse in Frankreich adressiert. An den Namen erinnerte ich mich noch aus Madame Goûts Unterricht: Alma war eine der acht ermordeten Schwestern gewesen. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag, holte das Blatt heraus und strich es auf der Kommode glatt. Es war verblasst, verknittert und fleckig von den vielen Fingern, die es immer wieder auseinander- und zusammengefaltet hatten. In der oberen rechten Ecke prangte das Kanarienvogelwappen.
D. 2ten Aprillis anno 1732
Chère Alma,
ich bin in Forcht, daß wir schwer gefehlet haben bey Ophelien. Ihr Physicus zu Sankt Laurentio behauptet, daß sie wohl anspreche auff die Behandlung, doch nun da ich sie in Montreal besucht, bin ich besorgt über die Maaßen. Sie scheinet unbesonnen und unfehig ihre Triebe zu bezähmen. Insgeheym hat sie mir gebeichtigt, daß sie des
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