Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Weile hier. Ich schau immer mal wieder vorbei, auch wenn sie mich noch nicht mal hört. Neulich, als ich in dich reingefahren bin, war ich auch auf dem Weg hierher.«
»Ach so?«, fragte ich, seltsam erleichtert, dass die Blumen gar nicht für Clementine, sondern für seine Großmutter gewesen waren.
»Wen besucht ihr?«
»Ach, äh, niemanden eigentlich.«
»Niemanden eigentlich?«, lachte er. »Was treibt ihr dann hier?«
Während ich noch nach der richtigen Antwort suchte, mischte Anya sich ein. »Wir haben nur mal die Cafeteria ausprobiert.«
»Wir waren gerade am Gehen«, sagte ich. »Wir müssen zurück zur Schule zu …«
»Einem Clubtreffen«, beendete Anya meinen Satz.
Er trat rückwärts in den Aufzug. »Clubtreffen? Was für ein Club?«
»Nur für Mädchen. Ganz was Privates«, erklärte Anya und trieb mir die Schamesröte ins Gesicht.
»Hoffentlich geht’s deiner Großmutter besser«, sagte ich, gerade als sich die Türen schlossen. Zusammen rannten Anya und ich zurück zum St. Clément, platschten quer durch die Pfützen auf den Pflastersteinen und hinein ins Wohnheim.
Siebtes Kapitel
Ein Grabstein ohne Namen
E s regnete die ganzen nächsten Wochen hindurch und der September verschwamm unmerklich mit dem Oktober. Ich hätte mich über meine Entdeckung im Krankenhaus freuen sollen, aber ich fühlte mich einfach nur stumpf und trübsinnig. Ohne Dante schien die Zeit um mich zum Erliegen zu kommen; die Morgen waren ebenso wolkenverhangen und düster wie die Abende, als könnte sich die Sonne nicht zum Aufgehen entschließen. Selbst der Wind war verschwunden: Die Welt schien mit mir den Atem anzuhalten und auf seine Rückkehr zu harren.
Anya und ich verbrachten die ersten Oktobertage in der Bibliothek und versuchten, das Rätsel zu knacken. Immer wieder schlug ich das Kanarienwappen nach, glich die Fotos in den Büchern mit meinem Durchrieb ab, nur um ganz sicher zu sein. So grobkörnig der Grafit auch war, die Gemeinsamkeiten waren nicht zu übersehen. Es war dasselbe Wappen. Da bekam ich zum ersten Mal das prickelnde Gefühl, vielleicht doch auf der richtigen Spur zu sein: Das Geheimnis der Neun Schwestern war nicht tot. Es schlummerte verborgen in einem Rätsel.
Aber was sollte es bedeuten? Ich hatte schon alle Register nach Meeren, Bären, Nasen oder irgendwelchen Kombinationen davon abgesucht, doch die Ergebnisse waren so vage, dass sich daraus rein gar nichts schließen ließ. Je öfter ich mir den Durchrieb vornahm, desto sicherer war ich, dass die Zeilen nur Bruchstücke eines größeren Rätsels darstellten. Und um sie zu entschlüsseln, musste ich die anderen Teile finden.
»Aber wie?«, fragte Anya und klimperte mit ihren Armbändern. Wir waren auf dem Weg zu »Strategie und Prognose«, ein Fach, das auch außerhalb des Schulgeländes unterrichtet wurde.
»Vielleicht sehe ich es ja noch in einer Vision«, sagte ich. »So wie zuletzt.«
Neben dem Pförtnerhäuschen parkte ein dunkelgrüner Bus, dessen Heckklappe ganz diskret das Wappen von St. Clément trug.
Rektor LaGuerre kam in einem hellbraunen Anzug den Weg hinabgeschlendert. Als er uns sah, lächelte er und angelte in seinen Taschen nach dem Autoschlüssel.
Ich setzte mich in die letzte Reihe, zwischen Anya und einen Jungen mit sommersprossigem Mondgesicht, der Harrison hieß. Vor mir saßen Noah und Clementine; ihre Köpfe tanzten im Rhythmus des Kopfsteinpflasters, als wir zum alten Hafen hinunterrollten. Ich beobachtete, wie sie mit seinen Locken herumspielte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er lachte und ich musste den Blick abwenden, um mir nicht einzugestehen, dass sich irgendwo in mir die Eifersucht meldete.
»Wie Sie wahrscheinlich schon bei Ihrem Einstufungstest gemerkt haben, sind einige tote Tiere leichter zu erspürenals andere«, sagte Rektor LaGuerre und warf uns über den Rückspiegel einen Blick zu. »Die Wächter verwenden dafür den französischen Ausdruck
force majeure
oder
höhere Gewalt, größere Kraft.
Manche tote Tiere haben stärkere Kraft als andere, wodurch wir sie leichter orten können.
Zum Beispiel ist, abgesehen vom Menschen, die Katze das Lebewesen mit der schwersten Seele und daher auch das mit der größten Kraft. Deshalb ist sie auch unser Schulmaskottchen. Die Katze ist einem Wächter gar nicht unähnlich, denn sie kann den Tod genauso erspüren wie wir.«
Ich musste an Rektorin van Laarks Siamkatzen denken, die immer ihre Krallen an Dante und Gideon gewetzt
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