Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Tee. »Trink aus«, sagte sie und starrte auf meinen Becher. »Du hast deinen kaum angerührt.«
Ich beachtete sie gar nicht. »Noah glaubt, dass ein Teil vom Rätsel fehlt, der erste, und dass der die Hinweise verbinden wird. Den müssen wir finden.«
»Du hast
Noah
davon erzählt? Noah, dem Freund der reizenden Clementine?«
Ich zuckte die Schultern. »Er ist mit mir hinter Miss LaBarge her. Was blieb mir sonst übrig? Und außerdem war er ganz hilfreich.«
»Minimalst«, sagte Anya und nippte an ihrem Tee. »Weißt du, ich hab über diese Rätsel nachgedacht. Wir gehen die Sache falsch an.«
»Was soll das heißen?«
»Die Schwestern haben doch geschworen, dass sie das Geheimnis mit ins Grab nehmen. Warum sollten sie dann die Rätsel verstecken?«
»Das hast du schon mal gefragt. Und ich hab immer noch keine Antwort.«
»Nun, vielleicht sollten wir uns erst mal darüber den Kopf zerbrechen. Denk doch mal nach. Das Krankenzimmer. Der Grabstein. Die Rätsel, die wir bisher gefunden haben, waren nicht an irgendwelchen großen geschichtsträchtigen Orten versteckt oder verschlüsselt in irgendwelchen Kunstwerken verborgen. Die waren an Orten, die nur einzelnen Personen wichtig gewesen sein konnten – ein Grabstein, ein Krankenhausbett.«
Ich lehnte mich zurück und dachte über ihre Ausführungen nach. »Die neunte Schwester«, sagte ich. »Du glaubst, die neunte Schwester hat sie an Orten versteckt, die für sie eine Bedeutung hatten.«
Anya nickte.
»Aber warum?«
»Keinen blassen Schimmer.« Anya trommelte mit ihren Fingernägeln auf der Sofaarmlehne. »Aber ein paar Dinge können wir uns schon über sie denken. Dem Porträt der Neun Schwestern nach zu schließen, muss sie in den 1730ern, als die anderen Wächter ermordet wurden, etwain unserem Alter gewesen sein. Sie hat irgendwelche Verbindungen nach Montreal gehabt, das sagt uns der Grabstein. Und sie hatte auch irgendwas mit dem Royal-Victoria-Krankenhaus zu tun.«
Der erste Schnee fiel auf das St. Clément und bestäubte die Dachziegel mit einer dünnen weißen Schicht. Anya und ich suchten nach der neunten Schwester, durchforsteten in der Hausbibliothek von St. Clement sämtliche Akten, die wir kriegen konnten. Nach und nach zogen wir jeden einzelnen der verstaubten Wälzer aus den Regalen und überflogen jede Seite. Aber alles, was es vor den 1950er- Jahren an Informationen gab, war mager und völlig willkürlich.
Nach diesem Fehlschlag ging ich dazu über, die Straßen von Montreal zu durchstreifen in der Hoffnung, über irgendeinen Auslöser für eine Vision zu stolpern. In Wahrheit suchte ich wohl nach Dante. Überall entdeckte ich seine Spuren – ein altes Lateinbuch, das auf meinem gewohnten Tisch im Café liegen geblieben und in das eine Nachricht gekritzelt war:
Ich bin auf der Suche
. Eine mit dem Finger in ein vereistes Fenster gemalte Botschaft:
Du fehlst mir.
Worte, die in den Briefkasten neben dem Geschäft an der Ecke geritzt worden waren:
Vergiss uns nicht.
Bei jedem dieser Funde zitterte mir das Herz in der Brust und ich musste mich von dem Anblick wegreißen, um nicht zu sehr aufzufallen. Anfangs hatte ich Anya an meiner Seite, aber als die Ferien näher rückten, musste sie ihrem Vater im Laden aushelfen und ich blieb allein zurück. Gelegentlich holte Noah mich nach dem Unterricht ein und spazierte plaudernd mit mir das verschneite Kopfsteinpflasterentlang. Dann betrachteten wir die Wasserspeier, die oben über die Dächer wachten. Jedes Mal, wenn mir durch eine Gasse diese kalte Brise entgegenwehte, blieb ich wie angewurzelt stehen, starrte die verlassene Straße runter und wartete auf Dante. Aber er kam nie.
Mir war nicht klar, was ich da tat. Ich dachte, ich würde nur irgendwie die Zeit bis zu Dantes Rückkehr füllen, doch als die Wochen ins Land gingen, entfernte uns jeder Tag weiter voneinander. Ich begriff nicht, was geschah, bis ich mich eines Tages bei der Freude darauf ertappte, Noah über den Weg zu laufen. Und dann schmiedete ich auf einmal Pläne,
um
ihm über den Weg zu laufen. Unser Beisammensein schien mir die Steine von der Brust zu stemmen. Es war einfach schön, mit jemandem umherzuziehen und sich über Nichtigkeiten zu unterhalten.
An einem der seltenen Tage, an denen ich allein unterwegs war, fand ich mich auf einmal am Flussufer wieder und starrte auf die verlassenen Getreidesilos.
Als die Touristen sich verzogen hatten, trat ich ans Geländer. Ich ließ den Blick über den
Weitere Kostenlose Bücher