Dead End: Thriller (German Edition)
setzte die Orgel von Neuem ein. Für mich bekam es allmählich eine ganz eigene Persönlichkeit, dieses Instrument, protzig und laut, wie ein nerviger Junge auf dem Schulhof. »Ihre Tarnung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgeflogen«, sagte Joesbury. »Nach dem, was Sie mir gerade von diesem Fragebogen erzählt haben, wahrscheinlich auf elektronischem Wege. Jemand könnte sich in Ihre Dateien gehackt haben, vielleicht hat er auch die Mails gelesen, die Sie mir geschickt haben. Die könnten ganz genau wissen, wer Sie sind und was wir alles wissen.«
»Oh Gott, das tut mir leid.«
»Das braucht Ihnen nicht leidzutun. Wenn Sie angemessen instruiert worden wären, hätten Sie auf so etwas geachtet. Lacey, machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Diese Typen sind verdammt clever, und ich könnte mich auch irren. So oder so, heute Abend werden wir es wissen.«
»Und wenn wir aufgeflogen sind?«
»Dann ist das nicht das Ende der Welt. Wir haben noch andere Leute hier. Und wir sind sehr viel näher dran als vorher, was wir zum Teil Ihnen verdanken.«
»Was soll ich jetzt tun?«
»Bleiben Sie noch ein paar Stunden im College, und benehmen Sie sich ganz normal. Na ja, so normal, wie Sie können«, antwortete er. »Eine zusätzliche Komplikation ist, dass wir glauben, dass die Polizei bei dem, was hier abläuft, mitmischt. Wir wissen noch nicht, ob es ein paar korrupte Kollegen von hier sind oder ob das Ganze sogar bis nach London reicht, aber Sie dürfen niemandem vertrauen außer mir. Ist das klar?«
Ich nickte. Mittlerweile verließen die Leute die Kapelle; die Orgel begleitete sie auf ihrem Weg.
»Auf der M11 wird gebaut, ich muss also einen Umweg fahren, aber wenn alles gut geht, bin ich vor Mitternacht wieder zurück und rufe Sie an. Kennen Sie ein Hotel namens Varsity?«
Wieder ein Kopfnicken. »Ich glaube schon. Gleich um die Ecke, so ein kleiner Betonbau. Sieht echt hip aus.«
»Da wohne ich«, sagte er. »Ich schicke Ihnen die Zimmernummer per SMS , wenn ich zurück bin.«
Einer der Pedelle trat aus der Pförtnerloge und kam über den Hof auf uns zu, dabei grüßte er einige der vorbeikommenden Gemeindemitglieder mit einem Nicken. Während ich ihm entgegenblickte, verließ der Chor die Kapelle. Es waren hauptsächlich halbwüchsige Jungen in schwarzen Roben mit leuchtend roten Kragen. Schwarz-rote Troddeln hingen von ihren komischen flachen Mützen herab.
»Wollen Sie los, Sir?«, erkundigte sich der Pedell bei Joesbury. Es war George.
»Ja, danke«, erwiderte Joesbury, ehe er sich wieder an mich wandte und die Stimme senkte. »Noch was«, sagte er. »Wegen Bell.«
Ich war so hin und weg vor purer Freude darüber, dass Joesbury und ich uns wieder verstanden, dass ich einen Moment lang dachte, er rede von so einem großen Bronzeding, das Bimbam machte. »Wenn er am Ende sauber ist, wenn das hier alles vorbei ist, dann soll’s mir recht sein«, sagte er. »Scheint ein netter Kerl zu sein. Bleiben Sie einfach nur noch ein bisschen länger weg von ihm, und behalten Sie den Fall im Blick, okay?«
Plötzlich war dort, wo sich sonst meine Zunge befand, ein großer, schwerer Kloß.
»Ich freu mich schon drauf zu erfahren, was das hier eigentlich genau für ein Fall ist«, bemerkte ich, weil ich ja irgendetwas sagen musste und das, was mir spontan einfiel, irgendwie nicht angemessen schien.
Joesbury umfasste meinen Hinterkopf mit einer brüderlichen Geste, bei der ich ihm am liebsten eine geknallt hätte. Oder losgeheult hätte. »Schätzchen«, sagte er. »Wenn Sie das erfahren, werden Sie sich wünschen, Sie wären vollkommen ahnungslos.«
Er stieg in seinen Wagen, George öffnete das Tor, und er fuhr davon.
67
Cambridge, vor fünf Jahren
»Kommen Sie auch mit, Boss?«
Der Mann hinter dem Schreibtisch schüttelte den Kopf. »Hab ein College-Jahrgangstreffen.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Bildschirm, der vor ihm stand. »Haben Sie das gesehen, Stacey?«
Stacey, eine schlanke Blondine Anfang dreißig, die heimlich schon seit etlichen Monaten für ihren neuen Boss schwärmte, war froh über die Gelegenheit, auf die andere Seite des Schreibtischs zu gehen und sich darüberzubeugen. So dicht neben ihm konnte sie sein Rasierwasser und die warme Baumwolle seines Hemdes riechen. Konnte sein Haar glänzen sehen.
»Großer Gott, ist das echt?« Das Bild auf dem Schirm lenkte sie einen Augenblick lang tatsächlich von dem heimlichen Wunsch ab, das Gesicht an diese breite
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