Dead End: Thriller (German Edition)
hatten sie gekriegt. Sie siegten an allen Fronten.
»Sie war Medizinstudentin«, meinte Nick gerade. »Sie hat gewusst, was ihre Verletzungen bedeuteten, was die Zukunft für sie bereitgehalten hat. Entschuldige, das willst du bestimmt alles gar nicht hören.«
Die Möglichkeit, dass es besser so war, dass Bryony, verunstaltet wie sie war, gar kein richtiges Leben gehabt hätte, interessierte mich nicht. Alles, woran ich denken konnte, war, dass es zu meiner Aufgabe geworden war, dafür zu sorgen, dass dieses Mädchen am Leben blieb. Und ich hatte versagt.
»Ich hab jede Menge zu tun«, sagte Nick. »Wenn jemand stirbt, ist immer massenhaft Papierkram zu erledigen. Und ich habe ihren Eltern aufs Band gesprochen, also muss ich da sein, wenn sie zurückrufen. Können wir das mit dem Abendessen verschieben?«
»Klar«, versicherte ich, erleichtert, dass ich mir keine Ausrede ausdenken musste. »Bei mir liegt auch eine Menge an. Ich bring dich zum Tor.«
Wie hatten sie das gemacht? Irgendetwas war der finale Auslöser gewesen, irgendetwas, das ihr den Rest gegeben hatte. Ich musste herausfinden, wer sie heute besucht hatte. Abgesehen von George und dem Mann neben mir. Doch ich konnte nicht ins Krankenhaus fahren. Ich musste auf Joesbury warten.
Es begann wieder zu schneien, als wir über den First Court gingen.
»Schneien die Straßen hier zu?«, fragte ich Nick. Joesbury war schon seit vier Stunden weg.
»Nur wenn die Behörden vom Schnee überrascht werden«, erwiderte er. Dann schaute er nach oben. »Die Flocken sind winzig«, meinte er. »Ich glaub nicht, dass da noch mal viel runterkommt.«
»Gut.« Ich wollte auf die Uhr schauen. In diesem Moment schlug eine nahe Kirchenuhr die Stunde. Wir traten durch die winzige Holztür auf die Straße hinaus, und er drehte sich zu mir um. Ich mimte ein Schaudern, das sehr schnell zu einem echten wurde.
»Du musst wieder rein«, sagte er. »Bis bald.«
Ich ließ mich von ihm küssen und versuchte, mich nicht zu schnell loszumachen. Dann sah ich ihm nach, während er ein paar Schritte die Straße hinunterging, und winkte mädchenhaft, als er sich umdrehte, ehe ich mich wieder zum First Court umdrehte.
Mit raschen Schritten überquerte ich den Hof und trat in den Second Court, während ich mein neues Handy aus der Tasche zog, obwohl ich es gehört hätte, wenn irgendwelche Nachrichten hinterlassen worden wären. Wo zum Teufel steckte Joesbury? Vier Stunden! Er hätte inzwischen zurück sein müssen.
Um zehn Uhr wusste Evi, dass sie für heute Abend nichts mehr für Jessica tun konnte. Das Mädchen war auf die geschlossene psychiatrische Station des Krankenhauses verlegt worden, seine Eltern waren bei ihm, und es hatte Beruhigungsmittel bekommen, damit es die Nacht durchschlief. Mit ein bisschen Glück würde es ein traumloser Schlaf sein.
Als sie durch den Haupteingang ins Freie trat, klingelte ihr Handy. Megan Prince. Evi spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und ließ sich einen Augenblick Zeit.
»Hallo, Meg.«
»Evi, hi. Kannst du reden?« Megans normalerweise so lebhafte Stimme schien gedämpfter als sonst.
»Natürlich. Was gibt’s denn?«
»Können wir uns gleich morgen früh treffen? Ich hab erst um zehn Termine. Kann ich um neun bei dir vorbeikommen?«
Nein. Irgendwo, wo andere Leute sein würden.
»Ich muss morgen früh im Büro sein, aber wir können uns da um neun treffen. Geht das?«
»Ja, das geht. Super. Bis dann, Evi.«
Sie war weg. Okay, was sollte das jetzt? Megan hatte sie noch nie einfach so aus heiterem Himmel gebeten, sich mit ihr zu treffen. Sollte sie Laura Bescheid sagen? Sie vielleicht dabeihaben?
Evi rollte über den Parkplatz und überlegte, dass sie Laura vielleicht erst hinterher davon erzählen würde. Vielleicht war ja gar nichts weiter, und was konnte in einem Bürotrakt voller Menschen schon passieren?
Erschöpft fuhr sie nach Hause; ihr tat alles weh, aber seltsamerweise war sie in so guter Stimmung wie schon lange nicht mehr. Das lag daran, dass Jessica lebend und unversehrt gefunden worden war, sagte sie sich. Tief im Innern wusste sie, dass es an dem Gespräch lag, das sie vorhin mit Laura geführt hatte. Ich an Ihrer Stelle würde
ihn anrufen. Plötzlich wusste Evi nicht mehr, warum es unmöglich war, Harry anzurufen.
Der Hund wartete gleich hinter der Tür.
»Hey, Schnuffel«, sagte Evi und wurde mit einer sanft schnuppernden Nase und einem braunäugigen Blick belohnt, der verkündete, dass sie der einzig
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