Dead End: Thriller (German Edition)
erwiderte ich. »Sie müssen mir einen Gefallen tun. Keine Fragen. Können Sie mir helfen?«
»Raus damit«, knurrte er gedehnt, und ich wusste, dass er sich nicht sicher war. Der Fall vom letzten Herbst hatte mir den Ruf eingebracht, ein bisschen unberechenbar zu sein. Pete Stenning dagegen war so geradlinig, wie es nur ging. Ich konnte praktisch hören, wie er sich fragte, in was ich ihn da hineinzog.
»Romeo Echo fünf neun«, sagte ich. »Golf Tango Lima. Roter Saab Cabrio. Ich muss wissen, auf wen er zugelassen ist und wo der Betreffende wohnt.«
Kurzes Schweigen, ganz wie ich es erwartet hatte. Das System speichert sämtliche derartigen Anfragen. Wenn Stenning ein Fahrzeug ohne triftigen Grund überprüfte, könnte er Ärger bekommen.
»Machen Sie’s unter meinem Namen«, sagte ich und gab ihm meinen Usernamen und mein Passwort.
»Das wird Sie was kosten.«
»Reden wir hier über Bier oder über sexuelle Gefälligkeiten?«
»Als ob ich mich mit Joesbury anlegen würde«, kam es zurück. »Wie geht’s dem übrigens?«
»Ist, soweit ich weiß, krankgeschrieben«, antwortete ich. »Machen Sie’s?«
»Sekunde, das System ist heute ein bisschen langsam. Okay, da haben wir’s. Übrigens, schicker Wagen. Ist auf einen Scott Thornton zugelassen. 108 Clement’s Road, Cambridge. Stecken Sie gerade in Cambridge?«
»Wenn Sie irgendjemandem von diesem Gespräch erzählen, stecke ich in der Scheiße, Pete.«
»Tue ich nicht. Also, wo immer Sie sind, seien Sie verdammt noch mal schön vorsichtig.«
36
Zweiundzwanzig Minuten, nachdem sie von der Arbeit nach Hause gekommen war, konnte Evi der Versuchung nicht länger widerstehen, die sie schon seit Tagen plagte. Auf Facebook tippte sie »Harry Laycock« in das Suchfenster und wartete. Das System arbeitete und … natürlich war er bei Facebook; jeder, der so hip war wie Harry, würde dort sein.
Harry Laycock, anglikanischer Geistlicher, 207 Freunde. Sein Geburtstag war der 7. April. Das hatte sie nicht gewusst. Das Foto hatte sie auch noch nie gesehen: Outdoorkleidung, Berge im Hintergrund. Das System forderte sie auf, ihm eine Nachricht zu schicken. Evi schloss die Seite wieder. Sie öffnete ihr Postfach und die Mail, die sie vorhin von der Polizistin bekommen hatte. Sie wollte Einzelheiten zu Studenten wissen, die in den letzten fünf Jahren Selbstmordversuche unternommen hatten. Leichter gesagt als getan. Nick war heute Nachmittag nicht gerade begeistert gewesen. Und seine Praxis war nur eine von zwanzig Hausarztpraxen in Cambridge, auf die sich die zweiundzwanzigtausend Studenten verteilten. Jede Praxis arbeitete unabhängig von den anderen. Daten wurden nur selten ausgetauscht, und die Schweigepflicht war sakrosankt. Was sie fand, konnte sie nicht an die Polizistin weitergeben, ohne ihre Zulassung aufs Spiel zu setzen.
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Evi streckte die Hand aus und hob den Hörer ans Ohr. »Evi Oliver«, meldete sie sich. Stille. »Hallo«, versuchte sie es. Keine Antwort. Sie legte auf.
Die junge Frau mit dem falschen Namen Laura Farrow gab sich knallhart, doch sie wirkte zerbrechlich. Wenn sie nicht gerade sprach, hatte ihr Gesicht Evi unwillkürlich an Glas denken lassen, das bis zum Zerbrechen belastet wird. Wie es den Bruchteil einer Sekunde verharrt, bevor es zerspringt, fragil und wunderschön.
Das Telefon klingelte erneut.
»Evi Oliver.«
Keine Antwort.
»Hallo.« Jetzt versuchte sie nicht einmal mehr, höflich zu klingen.
Evi legte auf. Nicht überreagieren, befahl sie sich. Es konnte einfach ein ganz normaler Anrufer sein, der nicht durchkam. Es klingelte schon wieder. Sie nahm ab und hielt sich den Hörer ans Ohr, ohne etwas zu sagen. Schweigen in der Leitung. Nicht einmal Atemgeräusche. Die Versuchung, etwas zu sagen, war sehr stark. Sie widerstand, legte ganz sachte auf.
Sofort klingelte es abermals.
Okay, das würde ihr keine Angst einjagen. Das machte sie nur stocksauer. Sie nahm den Hörer ab und legte ihn behutsam auf den Tisch. Ein paar Sekunden später begann ihr Handy zu klingeln. Sie griff in ihre Handtasche und zog es heraus. Unterdrückte Rufnummer. Evi meldete sich.
»Hallo.«
Nichts als Stille. Fünf Sekunden später klingelte es wieder. Evi schaltete das Handy aus, legte den Hörer des Telefons auf und zog das Kabel aus der Telefonbuchse. Dann stand sie auf und ging durchs Erdgeschoss. Es gab noch drei weitere Anschlüsse, die ausgesteckt werden mussten.
Sie würde nicht überreagieren.
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