Dead Man's Song
ab - und fand nichts. Unverdrossen, aber nicht bereit, eine Von-Tür-zu-Tür-Befragung in den sechs anderen jamaikanischen Vierteln durchzuführen, machte er sich auf den Weg zum größten im 32. Revier.
Hier in der alten Stadt mündeten enge, gewundene kleine Straßen mit floridahaft klingenden Namen wie Lime, Hibiscus, Pelican, Manatee und Heron in ähnlich enge, kleine Sträßchen und Gassen mit Namen wie Goedkoop, Keulen, Sprenkels und Visser, so benannt von den Holländern, als die Stadt noch ganz neu war und mehrmastige Segelschiffe im Hafen lagen. Diese Tage waren für immer vorüber, Gertie. Von den Straits of Napoli und Chinatown nach Osten verlaufend, schwang die Visser Street sich nach Norden in eine Gegend, die früher hauptsächlich aus Lagerhäusern bestanden hatte, die den Flußhafen begrenzten. Zu weit vom Zentrum entfernt, um als Lower Platform angesehen zu werden, nicht nah genug am Zentrum, um dem trendigen Hopscotch zugerechnet zu werden, hießen die hier neu errichteten Bauten offiziell The Mapes Houses nach James Joseph Mapes, einem angesehenen ehemaligen Gouverneur des Staates.
Alle städtischen Bauten wurden von der Polizeibehörde nach einer fünfstufigen Skala bemessen, die von »unklar« über »heikel«, »riskant«, »unsicher« bis hinunter zu »gefährlich« reichte. Den Mapes Houses war eine mittlere Dreierposition auf der Sicherheitsskala zugeordnet worden, obgleich Streifenpolizisten der Gegend diese Einstufung als überholt ansahen. Die Cops des 32. nannten die Wohnanlage »Rockfort«, nach einer im siebzehnten Jahrhundert erbauten und mit einem Graben versehenen Festung am östlichen Stadtrand von Kingston, aber vielleicht war der Grund auch nur der, daß achtzig Prozent der Bewohner Jamaikaner waren.
Auf Fat Ollie Weeks’ persönlicher Sicherheitsskala rangierte Rockfort auf einer traurigen achten Stufe, was in seinem Lexikon soviel wie beschissen bedeutete. Er ging an jenem frühen Donnerstag nachmittag allein dorthin, aber nur, weil es ein heller Tag wenige Wochen vor Weihnachten war. Anderenfalls hätte er um Sicherung und ein SWAT-Team gebeten. Indem er seine typisch siegessichere Körperhaltung unterdrückte, die die Jamaikaner vielleicht als Herausforderung empfinden würden, trat er beinahe unterwürfig auf, als er von Tür zu Tür ging und nach einem Mann von rund einem Meter neunzig Körpergröße mit hellbrauner Haut, dunkelbraunen Augen, breiten Schultern, schmalen Hüften, einem einschmeichelnden Grinsen und einem deutlichen jamaikanischen Akzent fragte. Er sagte nichts von dem tätowierten blauen Stern auf dem Penis des Verdächtigen, denn viele der Leute, mit denen er redete, waren Frauen, und viele der Männer betrachteten sich als Christen.
Seine Suche erbrachte erst gegen drei Uhr den ersten Erfolg. Um diese Zeit fing es gerade wieder zu schneien an, und der Himmel war dunkel genug, um ihn darüber nachdenken zu lassen, ob er nicht lieber nach Hause zurückkehren sollte.
Cynthia Keating schien nicht überrascht zu sein, Carella und Brown erneut vor ihrer Tür stehen zu sehen. Sie drohte noch nicht einmal damit, ihren Anwalt zu rufen. Sie bat sie herein, teilte ihnen mit, daß sie zehn Minuten für sie erübrigen konnte, und nahm dann ihnen gegenüber Platz. Sie schlug die Beine über Kreuz und verschränkte die Arme vor der Brust. Es hatte zu schneien angefangen, und im Fenster hinter ihr führten Schneeflocken einen fröhlichen Tanz im böigen Wind auf. Carella kam direkt zum Thema.
»Eine Frau namens Martha Coleridge«, begann er, »hat einige Brief an das Büro Norman Zimmers geschickt und darum gebeten, sie weiterzuleiten. Einer der Briefe war an Sie als Eigentümerin der Rechte zu Jennys Zimmer gerichtet. Dazu gehörte eine Fotokopie eines Theaterstücks, das Miss Coleridge geschrieben hat. Haben Sie das Theaterstück und den Brief erhalten?«
»Ja, das habe ich.«
Treffer, dachte Carella.
»Wie haben Sie darauf reagiert?«
»Besorgt.«
»Warum?«
»Weil mir schien, daß es tatsächlich Parallelen zwischen ihrem Stück und Jennys Zimmer gab.«
»Welche Parallelen?«
»Zum Beispiel die Ausgangssituation, um gleich beim ersten Punkt zu beginnen. Eine junge Immigrantin kommt nach Amerika und verliebt sich in jemanden, der einer anderen Religion angehört, während sie sich gleichzeitig in die Stadt verliebt - der sie schließlich den Vorzug vor dem Mann gibt. Dieser Anfang ist in beiden Stücken gleich. Und das Konzept. Wir beobachten ihre
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