DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
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Seit Stunden hatte sich die Dunkelheit drohend angekündigt, nun war sie da. Geboren in der kalten Tiefe des Meeres und den schwarzen schweigenden Bäuchen der Schiffswracks. Sie kam als ein Geflecht von Schatten, die sich bewegten und zusammenfanden, sich ausbreiteten und schließlich zu einer alles verhüllenden schwarzen Decke vereinten, die über den Schiffsfriedhof herfiel, bis sie sogar den Nebel verschluckt hatte. Als einzige Andeutung von Helligkeit zeigte sich das schmutzige rötliche Dämmerlicht des größeren der beiden Monde.
»Wie lange wird es wohl dunkel sein?«, fragte Cushing George.
Sie standen mit einer der Akkulampen auf der Laderampe, während Marx und Gosling die Kisten durchsuchten und immer wieder laut verkündeten, was sie entdeckt hatten. Bis jetzt gab es Decken und Werkzeug, drei Kisten mit Stiefeln, zwei mit Wüstentarnzelten. Und etwa zwei Dutzend Kisten mit Notrationen oder MREs, wie sie im Militärjargon hießen. Die Nachfolger der alten C-Rationen. Somit verfügten sie über eine neue Verpflegungsquelle – wahrscheinlich genug, um einige Monate davon leben zu können.
Gosling benutzte eine Brechstange und Marx einen Zimmermannshammer, um die Kisten aufzubrechen – beides freundlicherweise zur Verfügung gestellt von einem Lademeister der U.S. Army, der die Beladung des Flugzeugs beaufsichtigt haben musste.
»Guck mal hier«, rief Marx. »Pionier-Sprengsätze – und zwar vollständig einsatzbereit! Zünder einstellen, werfen und bumm! Die könnten sich noch als nützlich erweisen, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Sie verstanden.
George hatte während seiner Dienstzeit in einem Pionierbataillon der Army solche Sprengladungen benutzt. Vor allem auf Baustellen hatte er sie eingesetzt. Mit ein bisschen C-4 konnte man damit anständig Schaden anrichten, wenn man wollte.
Chesbro und Pollard saßen auf den Notsitzen vor den Geländewagen. Chesbro betete, während Pollard nur in die Ferne starrte.
»Wer weiß, in was für einem Orbit dieser Planet kreist«, fuhr Cushing fort. »Die Nacht könnte ein paar Stunden oder ein paar Wochen dauern.«
»Scheiße«, kommentierte George.
Den Nebel empfand er schon als schlimm genug, aber so lange in kompletter Dunkelheit – er bezweifelte, dass sie alle bei Verstand blieben, bis es wieder hell wurde.
George versuchte, einen Abstand zu den Geschehnissen zu finden. Er dachte an Lisa und Jacob und daran, wie viel sie ihm bedeuteten. Selbst vieles, was er vorher gehasst hatte, erschien ihm jetzt tröstlich. Jacobs Zahnarztrechnungen, Lisas Chiropraktikerrechnungen, seine beiden Exfrauen und ihre Alimente, die Hypothek – verdammt, wie gut das jetzt alles klang! So beruhigend und sicher. Schon komisch, was der Gedanke an den bevorstehenden Tod oder Wahnsinn bei einem Menschen auslösen konnte.
Es rückte alles in eine ganz neue Perspektive.
»Wir können wie gottverdammte Könige leben!«, freute sich Marx über alles, was sie fanden. »Sieh mal hier – Fackeln! Das ist wie Weihnachten!«
»Wir werden das ganze Zeug nie in die Boote bekommen, ohne dass sie untergehen«, gab Gosling zu bedenken.
»Wir nehmen nur mit, was wir brauchen, und kommen zurück, wenn wir mehr benötigen.«
»Klar«, meinte Gosling. »Wenn wir dieses blöde Flugzeug wiederfinden.«
»Oh, da vertraue ich ganz auf dich, Erster. Selbst hier im Arschloch des Teufels vertraue ich voll auf dich.«
Gosling lachte, und Marx erzählte einen versauten Witz über drei Nonnen und einen Leprakranken, dem ständig der Pimmel abfiel.
George schaute hinaus in den Nebel. Dick und aufgewühlt lag er unter der Laderampe, wie ein Gespinst aus Rauch und Dampf. Das Licht der Akkulampe drang höchstens drei Meter in ihn ein, bevor es aufgab. »Wie hältst du das alles aus?«, fragte er Cushing. »Wie schaffst du es, nicht durchzudrehen? Ich meine ... ich habe Frau und Sohn drüben in der richtigen Welt. Ich weiß, dass ich unbedingt zu ihnen zurückkehren muss. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, es geht nicht mehr, wenn ich glaube, dass ich gleich überschnappe – dann denk ich an sie. Ich stell mir vor, wie es sein wird, sie wiederzusehen. Das ist etwas, woran ich mich festhalten kann. Aber was ist mit dir? Du bist nicht verheiratet, oder?«
Cushing schüttelte den Kopf. »Ich hatte mir immer vorgenommen, nicht zu heiraten, bis ich 40 bin, und als ich 40 wurde, dachte ich mir: 50 klingt auch ganz gut.«
»50 ist früh genug.« Marx stand hinter ihnen, den schweren
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