DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
und die beschaulichen Sonntagnachmittage. Das Schlimmste, das Allerschlimmste an der ganzen Sache hier war, dass er nicht mehr daran glaubte, sie jemals wiederzusehen. Nie mehr würde er so einen Sonntag erleben.
Bleib ruhig, bemühte er sich um Selbstkontrolle. Wie Gosling gesagt hat. Das ist alles, worauf es jetzt ankommt. Ruhig bleiben.
Am Arsch.
»Sie haben uns fast erreicht«, flüsterte Gosling.
Aber woher wollte er das wissen, wo doch der Eingang des Verdecks geschlossen war? Vermutlich spürte er es, denn George konnte es nun ebenfalls spüren: ein allmählich zunehmender, beinahe träger Druck, der sich im Meer hinter dem Floß aufbaute. George war sicher, dass er es durch den gummierten Boden spürte – ein Gewicht, ein Gefühl der Erwartung, eine Vorahnung von Bewegung wie die verdichtete Luft, die ein herannahender Zug vor sich herschob. Kurz vor dem Aufprall.
Er konnte einfach nicht ruhig bleiben. Selbst Gosling sah nicht besonders ruhig aus. Der andere war totenbleich unter der Sonnenbräune, seine Augen tanzten in ihren Höhlen wie Roulettekugeln. Er klammerte sich am Floß fest.
Da!
George spürte es und ebenso Gosling. Etwas oder eher viele Etwasse waren soeben mit einer solchen Geschwindigkeit und Kraft unter ihnen hindurchgeschossen, dass ihr Kielwasser das Floß tatsächlich um einige Zentimeter in die Luft hob. Die See explodierte vor Aktivität.
»Sie sind unter uns«, bemerkte Gosling unnötigerweise.
Unmengen dieser leuchtenden Fische oder Kreaturen oder was auch immer. Sie schwammen dicht unter der Oberfläche, und jetzt stießen sie gegen das Floß, einer nach dem anderen. Das Komische daran war, dass ihr Licht – ein fahles, durchdringendes Grün – das Innere des Floßes ausfüllte, ja, es durchleuchtete den Boden wie ein Röntgenstrahl, sodass man die Umrisse der Luftkammern erkennen konnte, jede Naht und jeden Stich.
Erstaunlich, absolut erstaunlich.
Aber weder George noch Gosling hatten genug Zeit, das Phänomen ausreichend zu würdigen, denn das Floß schaukelte wie auf einer Achterbahn. Wumm , wumm , wumm – in schneller Folge. Das Meer kochte und das Floß tanzte und George biss die Zähne zusammen und wartete darauf, dass die Luftkammern eine nach der anderen platzten und sie untergingen.
Doch nichts dergleichen geschah.
Man hatte das Floß dafür konstruiert, auch raueren Seegang auszuhalten, und selbst das wildeste Schubsen und Stoßen konnte ihm nichts anhaben. Deshalb verfügte es auch über mehrere Luftkammern und nicht nur eine.
Gosling hatte ihm das erklärt, und zwar mehr als einmal, aber im Moment konnte George sich an kein Wort erinnern. Im Moment sah er nur dieses merkwürdige Glühen und spürte, wie sich das Floß unter ihm in ständiger Bewegung befand und mal hierhin, mal dorthin geworfen wurde.
Dann hörten die Stöße auf, und das Glühen verschwand, als hätte jemand eine Lampe ausgeschaltet.
Nach einigen Minuten kroch Gosling zum Einstieg und zog den Reißverschluss auf. Draußen erneut nichts als Nebel und das Meer, wie sie sich im Einklang bewegten, wenn sie sich überhaupt bewegten.
»Sie sind weg«, stellte er fest. »Und wir sind noch da.«
18
»Also ich habe Hunger«, sagte Saks nach langem Schweigen. »Was haltet ihr davon, wenn wir Fabrini aufschneiden und uns einen kleinen Snack genehmigen?«
Menhaus stieß ein leises, trockenes Lachen aus. Cook sagte nichts. Crycek stierte nur vor sich hin. Fabrini ballte immer wieder seine Fäuste.
»Ich meine, wenn das noch länger so weitergeht«, fuhr Saks fort, »müssen wir irgendwann einen von uns essen. Ich bin für Fabrini. Seien wir ehrlich, er ist doch der Entbehrlichste hier.«
»Nein, du irrst dich, Saks«, sagte Fabrini. »Ich bin zu mager. Was wir brauchen, ist ein Fettarsch. So wie du zum Beispiel. Ein großer fetter Angeber. Ein aufgequollener Drecksack, der in seinen eigenen Säften schmort.«
Saks gackerte. »Hast du das gehört, Menhaus? Er will meine Säfte. Der Typ kann nur an meinen Schwanz denken.«
Cook blendete das Geschwafel aus. Er beobachtete den Nebel, beobachtete Crycek und vor allem beobachtete er Saks. Cryceks Tirade über diesen Teufel, der da draußen auf sie lauerte, hatte auch bei ihm ihre Wirkung nicht verfehlt. Wenn er die Augen schloss, schien er dieses andere spüren zu können. Wie eine Präsenz, die ganz hinten in seinem Kopf nagte. Das mochte Einbildung sein oder auch nicht, aber im Moment drohte eine viel deutlichere und unmittelbarere Gefahr, und
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